Pressemitteilung
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8. September 2017
Mehr Antisemitismus in Deutschland | Knobloch: „Bedrückend für die jüdische Gemeinschaft und beschämend für unser Land“
München, 8.9.2017. Die Zahl antisemitischer und antiisraelischer Delikte nimmt in Deutschland zu. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Volker Beck hervor. Demnach wurden im ersten Halbjahr 2017 insgesamt 681 derartige Delikte erfasst, vier Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2016. Die Zahl der Gewaltdelikte sowie die Fälle von Volksverhetzung stiegen an. „Das entspricht leider der alltäglichen Erfahrung in unseren Gemeinden“, kommentiert Dr. h.c. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, die aktuellen Daten.
„Die Zahlen sind noch erschreckender, führt man sie sich im Verhältnis zur kleinen Zahl der jüdischen Bevölkerung in Deutschland vor Augen.“ Außerdem liege die Dunkelziffer der Delikte weit höher, weiß Knobloch, „weil sich viele über die Jahre antrainiert haben, solche Vorfälle zu ertragen, zumal die Anzeige meist im Sande verläuft.“ Dabei sei das Maß des Erträglichen längst voll. „Wir erleben eine ungeahnte Renaissance antijüdischer Ressentiments und Verschwörungstheorien. Die Tabus sind gefallen.“
Täter sind zum einen Neonazis, so Knobloch. „Rechtspopulismus und -extremismus haben stark zugenommen und wirken leider bis in die Mitte der Gesellschaft. Pegida und Co. sowie die AfD haben diesen Virus in Deutschland ausbrechen lassen. Der Hass, der im Internet längst keine Hemmungen mehr kennt, ist auf die Straße und dann in 13 Landesparlamente vorgedrungen. Nennenswerte Teile der Gesellschaft sind enthemmt, gerieren sich offen rassistisch, antisemitisch und antiliberal.“ Das werde noch schlimmer, wenn die AfD in den Bundestag einzieht, warnt die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. „Wenn man sich erst an die menschenverachtende Rhetorik und auch die Geschichtsverdrehung gewöhnt, drohen Minderheiten Isolierung und Stigmatisierung in großem Ausmaß. Mit Populismus hat das schon lang nichts mehr zu tun.“
Aber die rechtsextremen Taten seien nur ein Teil der traurigen Wahrheit, so Knobloch. „Es gibt gerade in Deutschland einen perfiden Antisemitismus von links, der für jüdische Menschen eine große Belastung geworden ist. Immer öfter sind wir Anwürfen und Anfeindungen ausgesetzt, die über die Diffamierung, Delegitimierung und Dämonisierung des jüdischen Staates transportiert werden. ‚Israelkritik‘ ist zum Volkssport geworden, der Begriff steht jetzt sogar im Duden. Wie kein anderes Land wird Israel in Deutschland mit Genugtuung, Arroganz und unappetitlicher Überheblichkeit angeprangert und abgeurteilt. Das hat unmittelbare Folgen für uns deutsche Juden, weil über das Vehikel Israel purer Antisemitismus wieder salonfähig geworden ist.“
Verzerrende Darstellungen in deutschen Schulbüchern sowie eine einseitig israelskeptische und unverhältnismäßige Berichterstattung in vielen Medien hätten diese Entwicklung befördert, so Knobloch.
Schließlich sei der aggressive Judenhass unter Muslimen eine enorme Bedrohung für jüdische Menschen. „Die muslimischen Verbände haben jahrzehntelang nicht nur nichts getan, sondern noch zugelassen, dass antisemitische Hassprediger die antijüdische Ideologie aus den muslimischen Ländern in deutsche Moscheen und die Köpfe der jungen Muslime hierzulande bringen.“
Im Ergebnis habe, so Knobloch, das Wiedererstarken des Antisemitismus in Deutschland viele Ursachen: Mangelndes Problembewusstsein, falschverstandene Toleranz, ein überfordertes Bildungssystem sowie eine gehörige Portion Ignoranz.
„Ich fordere ein stärkeres Vorgehen gegen jede Form von Antisemitismus“, so Knobloch. „Antisemitismus muss endlich in seinen unterschiedlichen Varianten erkannt, benannt und geächtet werden. Zu einer systematischen, gesamtgesellschaftlichen Bekämpfung der Judenfeindlichkeit gehört auch ein Antisemitismusbeauftragter im Bundestag.“
Knobloch: „16 Tage vor einer Wahl, bei der erstmals seit Gründung der Bundesrepublik eine völkisch-nationalistische Partei mit auch antisemitischen Parolen und Personen in beachtlicher Größe in den Bundestag einziehen kann, ist zu konstatieren, dass ‚Jude‘ ein Schimpfwort in deutschen Schulhöfen und Fußballstadien und jüdisches Leben nur unter erheblichen Sicherheitsvorkehrung möglich ist. Das ist bedrückend für die jüdische Gemeinschaft und beschämend für unser Land.“
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Aktuelle Veranstaltungen
Mo. 19.05.2025 | 21. Ijar 5785
Kultur
»Mit dir steht die Welt nicht still«
Beginn 19:00 Uhr:
Lesung mit Melissa Müller
Moderation: Ellen Presser
London, 1951: Nanette und John lernen sich auf einer Party kennen. Für ihn ist es Liebe auf den ersten Blick, doch Nanette, die mit Anne Frank befreundet war und als Einzige ihrer Familie das Konzentrationslager Bergen-Belsen überlebt hat, fürchtet sich vor dem Glück. Fast zwei Jahre schreiben sie sich, kommen sich in Briefen näher – bis sich Nanette entschließt, John nach São Paulo zu folgen.
Die Publizistin und Drehbuchautorin Melissa Müller (»Das Mädchen Anne Frank«; mit Reinhard Piechocki »Alice Herz-Sommer „Ein Garten Eden inmitten der Hölle“. Ein Jahrhundertleben«; mit Monika Tatzkow u. a. »Verlorene Bilder, verlorene Leben – Jüdische Sammler und was aus ihren Kunstwerken wurde« u. a. m.) erzählt in ihrem aktuellen Buch »Mit dir steht die Welt nicht still. Eine Liebe nach dem Holocaust« (Diogenes Verlag) von einer historisch verbrieften Liebe, die sich allen Umständen zum Trotz Bahn bricht.
Eintritt 16,- / 10,- Euro; telefonisch auf der ReserviX-Tickethotline 0761/8884 9999
Veranstalter: Stiftung Literaturhaus und Kulturzentrum der IKG München & Obb.
Veranstaltungsort: Literaturhaus, Salvatorplatz 1, 80333 München
Do. 22.05.2025 | 24. Ijar 5785
Kultur
»Erinnerung – Gedächtnis – Kultur: Jüdische Biographien im 21. Jahrhundert«. Ein Podiumsgespräch
Beginn 19:00 Uhr:
Begrüßung: Dr. Daniel Baumann, Leiter des Stadtarchivs
Einleitung und Moderation: Prof. Dr. Andrea Sinn, Associate Professor of History, Elon University
Biografien sind nicht nur von anhaltendem öffentlichem Interesse; vielmehr bleibt die biografische Forschung ein wichtiger Ansatz, der neue Perspektiven auf die jüdische Geschichte und Kultur in der Neuzeit bieten kann. Tatsächlich scheinen die Relevanz der biografischen Forschung und ihre Bedeutung für die Gestaltung von Erinnerung, Gedächtnis und Kultur sogar zugenommen zu haben. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Digitalisierung bietet das Podium Einblicke in aktuelle Forschungs- und Vermittlungsprojekte, hinterfragt die Bedeutung von Quellen und öffentlichem Raum, und diskutiert die Darstellung und Verwendung jüdischer Biografien im 21. Jahrhundert.
Podiumsgespräch mit:
Prof. Dr. Philipp Lenhard, Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur, LMU München
Anton Löffelmeier, M.A., Stadtarchiv München
Ellen Presser, Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München & Obb.
Dr. Björn Siegel, Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg (IGdJ)
Dr. Maximilian Strnad, Public History im Kulturreferat der Landeshauptstadt München
Eintritt frei, wegen begrenzter Platzzahl Anmeldung unbedingt erforderlich unter https://eveeno.com/488804931 oder telefonisch (089) 2180 5570
Kooperationspartner: College of Arts and Sciences, Elon University/NC, USA; Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg (IGdJ); Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München & Obb-; Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur, LMU München; Public History im Kulturreferat der Landeshauptstadt München und Stadtarchiv München
Veranstaltungsort: Rotunde des Stadtarchivs, Winzererstraße 68

Israelitische Kultusgemeinde
München und Oberbayern K.d.ö.R.
St.-Jakobs-Platz 18
80331 München
Tel: +49 (0)89 20 24 00 -100
Fax: +49 (0)89 20 24 00 -170
E-Mail: empfang@ikg-m.de