Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern

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3. Mai 2015

Gedenken in Dachau – Knobloch: „Ich kann die Formel ‚nie wieder!‘ kaum mehr hören“

Gedenkveranstaltung an der jüdischen Gedenkstätte im ehemaligen KZ Dachauin Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Horst Seehofer. Dachau/München, 3. Mai 2015. Anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau hat um 9.45 Uhr die Gedenkstunde des Landesverbands der Israelitischen Kultusgemeinden München und Oberbayern an der jüdischen Gedenkstätte im ehemaligen KZ Dachau stattgefunden.

In ihrer Rede in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Horst Seehofer sagte Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde:

„Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr verehrter Herr Ministerpräsident, mit Ihrem Kommen zu diesem Ort, in dieser Stunde, setzen Sie das richtige Zeichen – im richtigen Moment. Nicht allein, um gemeinsam der Millionen Opfer in der Vergangenheit zu gedenken. Sondern weil Sie verstanden haben, dass die jüdische Gemeinschaft Ihres Landes in der Gegenwart von wachsenden Sorgen und Zweifeln erfüllt ist.“

Knobloch verwies auf den Zuwachs antisemitischer Exzesse in ganz Europa – auch in Deutschland. „Jetzt, im siebten Jahrzehnt nach der Shoa, wird die jüdische Gemeinschaft hierzulande mit ihrer verletzlichen Heimatliebe und dem neu gefassten Vertrauen immer häufiger brüskiert.“

Knobloch sieht eine klaffende Lücke zwischen dem Geschichts- und Verantwortungsbewusstsein in der politischen Elite und den Einstellungen und Stimmungen in der Bevölkerung. Knobloch: „Hier und heute müssen wir uns der Wahrheit stellen: Auch im 21. Jahrhundert, auch in Deutschland, spüren wir, wie salonfähig der Antisemitismus wieder ist. (…) Ich beziehe mich dabei nicht auf Umfragen oder Statistiken. Vielmehr spüren wir diese Stimmung in unserem Alltag. Der Antisemitismus begegnet uns inmitten unserer Gesellschaft mit blankem Hass, mit Genugtuung, mit Arroganz und Hochmut. Er wütet unter hier lebenden Muslimen. Wuchert an den schmutzigen Rändern rechts und links. – Und er keimt auch und gerade in der breiten bürgerlichen Mitte fruchtbar auf.“ Solange dagegen nicht auf breiter gesellschaftlicher Ebene entschlossener angekämpft werde, möchte sie nicht länger die Worte „nie wieder!“ in den Mund nehmen.

Damit bezog sich die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland nicht nur auf den Antisemitismus, sondern: „gleichermaßen Antiziganismus, Homophobie, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Mobbing auf dem Schulhof, Menschenverachtung in jeglicher Form.“ Längst habe man sich an analoge, und noch viel extremer, an digitale Diskriminierung gewöhnt. (…) Haben wir verdrängt, dass Menschenverachtung keine Kleinigkeiten kennt? Wie ist es eigentlich um das Wehren der Anfänge bestellt?“

Eindringlich forderte Knobloch, dass sich alle deutschen Verfassungsorgane geschlossen hinter den NPD-Verbotsantrag des Bundesrats stellen sollten.

Mit den Worten „Das Gegenteil von ‚nie wieder‘ ist allgegenwärtig“ verwies die einstige Vizepräsidentin des World Jewish Congress auf „weltweit zu beobachtende Ungeheuerlichkeiten“. „Vor unseren Augen grassiert unvorstellbare Barbarei. Denken wir an die Gräueltaten des IS, an die Verfolgung der iranischen Bahai, an die Ermordung von Christen im Nahen und Mittlerer Osten, in Syrien, Libyen, im Irak, oder in Afrika, an den Terroranschlag auf dem Campus im kenianischen Garissa. (…) Millionen von Menschen sind auf der Flucht vor grausamster Gewalt und Kriegen. Und es ist unsere Verantwortung, die Ursachen und die Folgen als unsere Aufgabe zu begreifen – im Zeichen der Menschlichkeit.“

Abschließend betonte Knobloch: „Ein Schlussstrich, wie ihn sich viele wünschen, kann nicht gelingen. Im Gegenteil: Der Mensch war, ist – und bleibt – zu Unmenschlichkeit imstande. (…) Ich plädiere dringend dafür, den Heutigen unsere Geschichte nicht als Last, sondern als Chance näherzubringen – als Motivation zu Mündigkeit, Wehrhaftigkeit und Menschlichkeit. Das ist mein Wunsch an mein Land, an diesem Ort, an der Schwelle der Zeit, da die Epoche der Zeitzeugen zu Ende geht.“

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Aktuelle Veranstaltungen


Mo. 19.05.2025 | 21. Ijar 5785

Kultur

»Mit dir steht die Welt nicht still«

Beginn 19:00 Uhr:

Lesung mit Melissa Müller
Moderation: Ellen Presser

London, 1951: Nanette und John lernen sich auf einer Party kennen. Für ihn ist es Liebe auf den ersten Blick, doch Nanette, die mit Anne Frank befreundet war und als Einzige ihrer Familie das Konzentrationslager Bergen-Belsen überlebt hat, fürchtet sich vor dem Glück. Fast zwei Jahre schreiben sie sich, kommen sich in Briefen näher – bis sich Nanette entschließt, John nach São Paulo zu folgen.

Die Publizistin und Drehbuchautorin Melissa Müller (»Das Mädchen Anne Frank«; mit Reinhard Piechocki »Alice Herz-Sommer „Ein Garten Eden inmitten der Hölle“. Ein Jahrhundertleben«; mit Monika Tatzkow u. a. »Verlorene Bilder, verlorene Leben – Jüdische Sammler und was aus ihren Kunstwerken wurde« u. a. m.) erzählt in ihrem aktuellen Buch »Mit dir steht die Welt nicht still. Eine Liebe nach dem Holocaust« (Diogenes Verlag) von einer historisch verbrieften Liebe, die sich allen Umständen zum Trotz Bahn bricht.

Eintritt 16,- / 10,- Euro; telefonisch auf der ReserviX-Tickethotline 0761/8884 9999

Veranstalter: Stiftung Literaturhaus und Kulturzentrum der IKG München & Obb.

Veranstaltungsort: Literaturhaus, Salvatorplatz 1, 80333 München

Do. 22.05.2025 | 24. Ijar 5785

Kultur

»Erinnerung – Gedächtnis – Kultur: Jüdische Biographien im 21. Jahrhundert«. Ein Podiumsgespräch

Beginn 19:00 Uhr:

Begrüßung: Dr. Daniel Baumann, Leiter des Stadtarchivs

Einleitung und Moderation: Prof. Dr. Andrea Sinn, Associate Professor of History, Elon University

Biografien sind nicht nur von anhaltendem öffentlichem Interesse; vielmehr bleibt die biografische Forschung ein wichtiger Ansatz, der neue Perspektiven auf die jüdische Geschichte und Kultur in der Neuzeit bieten kann. Tatsächlich scheinen die Relevanz der biografischen Forschung und ihre Bedeutung für die Gestaltung von Erinnerung, Gedächtnis und Kultur sogar zugenommen zu haben. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Digitalisierung bietet das Podium Einblicke in aktuelle Forschungs- und Vermittlungsprojekte, hinterfragt die Bedeutung von Quellen und öffentlichem Raum, und diskutiert die Darstellung und Verwendung jüdischer Biografien im 21. Jahrhundert.

Podiumsgespräch mit:
Prof. Dr. Philipp Lenhard, Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur, LMU München
Anton Löffelmeier, M.A., Stadtarchiv München
Ellen Presser, Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München & Obb.
Dr. Björn Siegel, Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg (IGdJ)
Dr. Maximilian Strnad, Public History im Kulturreferat der Landeshauptstadt München

Eintritt frei, wegen begrenzter Platzzahl Anmeldung unbedingt erforderlich unter https://eveeno.com/488804931 oder telefonisch (089) 2180 5570

Kooperationspartner: College of Arts and Sciences, Elon University/NC, USA; Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg (IGdJ); Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München & Obb-; Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur, LMU München; Public History im Kulturreferat der Landeshauptstadt München und Stadtarchiv München

Veranstaltungsort: Rotunde des Stadtarchivs, Winzererstraße 68

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