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24. März 2017

Europa wird 60 | Knobloch: „Wir müssen das Jahrhundertprojekt des Friedens bewahren“

München, 24. März 2017. Am 25. März 1957 haben Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Belgien und Luxemburg die Römischen Verträge unterzeichnet und damit den Grundstein der heutigen Europäischen Union gelegt. Anlässlich des Jubiläums der Geburtsstunde der EU appelliert Dr. h.c. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, an die Politiker und Bevölkerungen der EU, dieses Jahrhundertwerk des Friedens zu bewahren und zu stärken.

„Es grenzt an ein Wunder, dass einst zutiefst befeindete Staaten endgültig das Gefechtsfeld gegen den Verhandlungstisch ausgetauscht haben. Die Nationen Europas reichten Deutschland die Hand zur Versöhnung. Der Weg der europäischen Verständigung, Einigung und Verbindung war vor 60 Jahren und ist bis heute ungebrochen ein Glücksfall für unseren Kontinent, speziell für Deutschland. Nur 12 Jahre nachdem die Bundesrepublik in jeder Hinsicht – zivilisatorisch, moralisch, politisch, militärisch, kulturell und wirtschaftlich – in Trümmern lag, eröffnete sich unserem jungen neuen Staat die ungeahnte Chance der ebenbürtigen Rückkehr in die europäische Nachbarschaft und mithin in die internationale Staatengemeinschaft. Die EU war und ist die Voraussetzung dafür, dass wir in Frieden, Freiheit und Stabilität auf unserem Kontinent zusammenleben können Dieser starke Bund steht für Demokratie und Menschenrechte – für die richtigen Lehren aus den verheerenden Erfahrungen zweier Weltkriege und des größten Menschheitsverbrechens, der Schoa“, so die WJC-Beauftragte für Holocaustgedenken.

Knobloch weiter: „Es gilt, was der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher treffend so formulierte: ‘Unsere Zukunft ist Europa. Eine andere haben wir nicht.‘ Es ist nicht nur unsere im Grundgesetzt verankerte Verpflichtung, für das europäische Einigungswerk zu kämpfen. Es ist der einzige Weg, um in Europa Frieden und Freiheit auf Dauer zu sichern. Gerade wir Deutsche stehen in der Verantwortung, im Verbund mit unseren Nachbarn Herz und Motor einer Union zu sein, die sich zum Wohl der Menschen den wachsenden nationalen, europäischen und globalen Herausforderungen stellt. Das sind insbesondere die gestiegene Bedrohung durch den islamistischen Terror und die weltweiten Krisen und Kriege. Die Antwort darauf kann nur mehr Europa sein, mehr Zusammenwachsen und keinesfalls ein Auseinanderbrechen. Der bevorstehende Brexit ist bereits ein herber Rückschlag. Weitere destruktive Entwicklungen gilt es unbedingt zu verhindern.“

Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland betonte: „Es ist Aufgabe der Politik und der Medien, die EU als Friedensprojekt mit kultureller und zivilisatorischer Zusammengehörigkeit erkenntlich und verständlich zu machen. Dank der EU dürfen wir, unsere Kinder und Kindeskinder, die längste Friedensperiode auf unserem Kontinent genießen – das ist ein Wert an sich. Zu lange waren materielle Themen im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung, die EU wurde als bürokratisches Monstrum verzerrt. Und ausgerechnet im Jubiläumsjahr ist die EU durch die Renaissance des Nationalismus in nahezu allen Mitgliedstaaten existenziell bedroht. Deswegen muss es vorrangiges Ziel der großen, demokratischen Nationen Europas sein, sich nicht vom Populismus verführen lassen. Das Projekt Europa kann nur funktionieren, wenn die Mitgliedstaten nach Einheit und Gemeinsamkeit streben – danach, mehr zu sein als die Summe seiner Teile.“

Knobloch: „Die Wählerinnen und Wähler in den Niederlanden haben bereits ein wichtiges Zeichen gegen Protektionismus, Nationalismus und menschverachtende Hetze gesetzt. Jetzt sind die Menschen in Frankreich aufgerufen, Demokratie, Freiheit, Frieden und Offenheit zu stärken – und dann die Wählerinnen und Wähler in Deutschland.“

Knobloch mahnte jedoch, dass die aktuelle Situation auch zeige,  dass die EU dringend fort- und weiterentwickelt werden müsse. „Dabei muss die Währungsunion und die Vertiefung des Binnenmarktes aber ebenso im Fokus stehen wie die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Neben den Zielen mehr Arbeitsplätze, Wachstum und Investitionen muss eben auch die gemeinsame Bewältigung der Flüchtlingskrise endlich umgesetzt werden. Eine weitere Zunahme nationalstaatlicher Eigensucht besiegelt das Ende der Union.“

Knobloch fordert: „Um von dem vermeintlichen Eliten-Projekt endlich zum beherzten Bürgerprojekt zu werden, muss die EU-Bürokratie das detailfixierte Klein-Klein aufgeben. Das Ziel muss ein Europa sein, das als Bereicherung wahrgenommen wird, das beschützt, nicht ausgrenzt, das stärkt, verteidigt und Verantwortung übernimmt – nach innen und nach außen. Gerade in der aktuellen Situation brauchen wir ein starkes bürgerliches Bekenntnis zu Europa. Die parteiübergreifende und internationale Bürgerinitiative Pulse of Europe macht insofern Mut. Ich wünsche mir, dass wir als Menschen in der EU einen Wertebund bilden – im Sinne Willy Brandts, der 1971 als Bundeskanzler anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises über ‚Friedenspolitik in unserer Zeit‘ an der Universität Oslo folgendes sagte: ‚Durch Europa kehrt Deutschland heim zu sich selbst und den auf¬bauenden Kräften seiner Geschichte. Unser Europa, aus der Erfahrung von Leiden und Scheitern geboren, ist der bindende Auftrag der Vernunft.“

Abschließend appelliert Knobloch an die jungen Menschen in Europa mit einem Zitat von Angela Merkel: „Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte im Januar bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universitäten Gent und Löwen: ‚Europa, das ist nicht die Kommission oder das Parlament oder der Europäische Rat. Europa, das sind Sie und das sind wir alle. Jeder einzelne ist Europa.‘ Europa lebe nicht nur von Politik, sondern vom Austausch der Menschen in verschiedensten Verantwortlichkeiten. Ich möchte mich ihren Worten anschießen: ‚Gleichgültigkeit kann sich Europa nicht leisten.'“

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