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29. September 2016
75. Jahrestag des Massakers von Babi Jar – Knobloch: „Inbegriff des Schreckens“
Kiew/München, 29.9.2016. IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch mahnt beim Gedenken zu mehr Mitgefühl mit den Opfern. Von Helmut Reister, erschienen in der Jüdischen Allgemeinen vom 13.10.2016. Ein kleiner Tagesausflug ist eine Fahrt mit dem Auto von München nach Kiew, der Hauptstadt der Ukraine, nicht gerade. Rund 1800 Kilometer liegen zwischen den beiden Städten. Und doch gibt es Verbindungen, die emotional nicht enger beieinander liegen könnten.
Viktoria Ivanova, die der Israelitischen Kultusgemeinde angehört und in München eine neue Heimat gefunden hat, verkörpert diese Nähe hinsichtlich eines Ereignisses, das einen Blick in die Abgründe des Menschen zulässt, wie es IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch beschreibt.

Zeitzeugin und IKG-Mitglied Viktoria Ivanova mit ihrem Ehemann © Marina Maisel
Vor 75 Jahren, am 29. September 1941, fand in der Schlucht von Babi Jar, die heute zum Stadtgebiet Kiews gehört, das größte Massaker an Juden außerhalb von Auschwitz statt. 33.771 Menschen, darunter besonders viele Frauen und Kinder, wurden innerhalb von 36 Stunden von einer SS-Einsatzgruppe, deutschen Wehrmachtsangehörigen und willfährigen Ukrainern erschossen – Viktoria Ivanova überlebte wie durch ein Wunder.
Massaker
„Für uns alle“, rückt Charlotte Knobloch die Perspektive zurecht, „ist Babi Jar, der Inbegriff des Schreckens, nicht vergangen, nicht zur Geschichte geworden. Bis heute ist das barbarische Massaker, nicht zuletzt durch die Zuwanderung vieler Menschen aus der Ukraine und anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, eine schmerzhafte Erinnerung und Bestandteil des kollektiven Bewusstseins, des alltäglichen Lebens.“ Wer mit Viktoria Ivanova rede, betont die IKG-Präsidentin, werde ihre Worte, ihre Geschichte nie wieder vergessen.
Zu den Ämtern, die Charlotte Knobloch bekleidet, gehört auch ihre Funktion als Beauftragte für Holocaust-Gedenken des World Jewish Congress, in der sie in Begleitung von IKG-Vizepräsident Ariel Kligmann an der zentralen Gedenkfeier in Kiew teilnahm. Natürlich registrierte sie, dass mit hochrangigen Repräsentanten vieler Staaten, darunter Bundespräsident Joachim Gauck, die historische Bedeutung von Babi Jar auch dort angekommen ist, wo sie hingehört.

Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Massenhinrichtungen von Babyn Jar in Kiew. Foto: Bundespräsidialamt
Doch dies war lange anders – daran erinnerte die IKG-Präsidentin anlässlich des 75. Jahrestages auch ganz direkt: „Angesichts des Menschheitsverbrechens ist es der Skandal nach der Katastrophe, dass die Erinnerung an das Massaker so viele Jahre lang unterdrückt und verdrängt wurde. Die Toten wurden totgeschwiegen, sie starben damit ein zweites Mal.“
Abgrund
Neben der Gedenkveranstaltung am Jahrestag der Tragödie am Rande der ukrainischen Hauptstadt hätte Charlotte Knobloch gerne auch an der Gedenkstunde im Gemeindezentrum in München teilgenommen, die jedes Jahr von der IKG-Sozialabteilung organisiert wird und angesichts der vielen zugezogenen Juden aus der Ukraine und der ehemaligen Sowjetunion eine ganz besondere Bedeutung hat. Mit ihren Gedanken und ihrer Rede, die von Caroline Shleyer in russischer Sprache verlesen wurde, war die IKG-Präsidentin dennoch anwesend.
Vertreten war die Israelitische Kultusgemeinde außerdem mit Rabbiner Shmuel A. Brodman und IKG-Vorstandsmitglied Vera Szackamer. Die Teilnehmer der Gedenkstunde wurden durch die Einspielung von Spielfilmfragmenten und literarisch-musikalischen Darbietungen der Jüdischen Gemeinde Augsburg-Schwaben mit der 75 Jahre zurückliegenden Tragödie konfrontiert.
Fast 2000 Kilometer vom IKG-Gemeindezentrum entfernt, gedachte Bundespräsident Joachim Gauck in Babi Jar der Opfer. „Wir sprechen von unermesslichem Leid und wir Deutschen von unermesslicher Schuld, wenn wir vor dem Abgrund der Schoa stehen“, erklärte er und wies zugleich auf den schmerzhaften Prozess hin, „dass kein Nachdenken über die deutsche Schuld und die gemeinsame Geschichte“ ohne Blick in den Abgrund von Babi Jar möglich sei. Der Name der Schlucht, so der Bundespräsident, stehe neben dem systematischen Massenmord in den Vernichtungslagern der Nazis für das schlimmste Massaker an Juden.
Sorge
Ukraines Präsident Petro Poroschenko dürfte Charlotte Knobloch mit seiner Rede aus dem Herzen gesprochen haben, als er ankündigte, den Bau eines Zentrums zur Erinnerung an das Massaker Wirklichkeit werden zu lassen. Die Eröffnung soll im Jahr 2021 stattfinden und dokumentiert nach Überzeugung Poroschenkos den Wandel der Erinnerungskultur, die so viele Jahre vernachlässigt worden ist. Vor den vielen prominenten Teilnehmern der Gedenkstunde, darunter auch EU-Ratspräsident Donald Tusk und der Oberrabbiner von Kiew und der Ukraine, Yaakov Dov Bleich, erklärte er: „Zusammen bauen wir eine Ukraine, in der Antisemitismus keinen Platz mehr hat.“
Die Erkenntnis, dass nur das Wissen über die Vergangenheit die Voraussetzung schafft, die Gegenwart ohne Diffamierung, Hass und Antisemitismus zu gestalten, gehört zu den Kernthesen der IKG-Präsidentin. Das brachte sie auch am Ort des Massakers zum Ausdruck. „Als Deutsche und als Europäerin“, erklärte sie, „beobachte ich die jüngsten Entwicklungen in meiner Heimat und auf unserem Kontinent mit großer, wachsender Sorge. Islamistischer Terror, das Erstarken rechtsextremer Kräfte und die vielen globalen Konflikte und Kriege haben dazu geführt, dass Frieden, Freiheit und Demokratie so gefährdet sind wie nie zuvor seit 1945.“
Gerade in dieser Situation, so Charlotte Knobloch weiter, „ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir uns des Vermächtnisses bewusst sind, das uns die Schoa hinterlassen hat. Im Gedenken an die Opfer von einst müssen wir uns zum unbedingten Ziel setzen, neue Opfer von Hass und Ideologie zu verhindern.“
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