Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern

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23. Juni 2016

Umstrittene Auktion: „Makaber und geschmacklos“

Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern verurteilt die Versteigerung von Nazi-Utensilien aufs Schärfste. Von Helmut Reister, erschienen in der Jüdischen Allgemeinen vom 23.6.2016. Die Bitte von Oberbürgermeister Dieter Reiter hat nicht gefruchtet, die Aufforderung von IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch nach einer rechtlichen Prüfung zeigte ebenfalls keine Wirkung, die Mahnung des Zentralratspräsidenten Josef Schuster blieb ebenfalls, wie die weltweiten Irritationen, ungehört.

Die makabre Versteigerung von so skurrilen Gegenständen wie der Unterhose von Hermann Göring und dem Strick, mit dem Judenhasser Julius Streicher hingerichtet wurde, hat wie geplant am Wochenende im Münchner Auktionshaus »Hermann Historica« stattgefunden.

Der Begriff »Geschmacklosigkeit«, der in Zusammenhang mit der umstrittenen Auktion von vielen verwendet wurde, ist nach Ansicht von IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch eine zu ungenaue Charakterisierung des »makabren und geschmacklosen Schauspiels«. Die Auktion, sagt Knobloch, »zeugt vor allem auch von einem mehr als fragwürdigen Umgang mit unserer Geschichte«.

Zweifel

Das in die Kritik geratene Auktionshaus fühlt sich missverstanden. In einer Erklärung teilt es mit: »Die Hermann Historica ist sich der verhängnisvollen Geschichte von 1933 und 1945 völlig bewusst und lehnt alle neonazistischen und nationalsozialistischen Strömungen ab.« Mit der Auktion diene man bloß der Wissenschaft und der zeitgeschichtlichen Aufarbeitung, so die Argumentation des Hauses. Nicht nur Charlotte Knobloch, auch viele Wissenschaftler haben an der Aussage solcher Darstellungen Zweifel. »Wo, bitte schön, ist der wissenschaftliche Wert von Görings Unterhose? Da kann sie noch so groß sein«, erklärt Knobloch.

An der starren Haltung von »Hermann Historica« ist Oberbürgermeister Dieter Reiter schon einmal gescheitert. »Ich hatte das Auktionshaus bereits im Jahr 2014 gebeten, eine ähnliche Auktion abzusagen oder zumindest sicherzustellen, dass die versteigerten Objekte nicht zur Verherrlichung des Nationalsozialismus missbraucht werden. Leider ohne Erfolg«, erklärte er wenige Tage vor der Versteigerung. Anders verlief es auch diesmal nicht.

Die Unterwäsche des ehemaligen Nazi-Reichsfeldmarschalls, Kleidungsstücke von Adolf Hitler und Eva Braun oder Fotografien gehörten noch zu den harmloseren Objekten des anrüchigen Auktionsangebots. Eine Röntgenaufnahme von Hitlers Schädel, ein zerfranstes Teil des Henkerseils oder der Metallbehälter, in dem die Giftampulle aufbewahrt worden sein soll, mit der sich Göring das Leben nahm, sind auch im Vergleich mit anderen Auktionen des weltweit florierenden Devotionalienhandels mit Relikten aus dem Nationalsozialismus besonders geschmacklos. »Solche Veranstaltungen«, ist Charlotte Knobloch überzeugt, »fördern den Nazi- und Führerkult.«

Kommerzieller Handel

Für die Gegenstände, die dabei den Besitzer wechseln, werden enorme Summen bezahlt. Eine Jacke von Hitler wechselte für fast 300.000 Euro den Besitzer. Axel Drecoll vom Institut für Zeitgeschichte und Leiter der Dokumentation Obersalzberg, zieht eine ernüchternde Bilanz: »Offenkundig ist die Faszination an diesen Personen so groß, dass die Leute eben doch, um ein Stück dieses Hitlers oder dieses Görings selbst zu Hause haben zu können, bereit sind, entsprechende Summen für diese Gegenstände zu bezahlen.« Auch auf Sammlerplattformen im Internet ist das Geschäft mit den Devotionalien mehr als 70 Jahre nach Ende der NS-Zeit sehr erfolgreich.

Die Forderung von IKG-Präsidentin Knobloch nach juristischen Schritten gegen die Versteigerung mit dem Ziel, solche Auktionen zu verbieten und den einschlägigen Handel mit den »Nazi-Souvenirs« einzudämmen, kommt nicht von ungefähr. Gerade die Auktion in München offenbarte, in welchen diffusen Milieus sich der Handel abspielt. Dessen ungeachtet lieferte das Auktionshaus mit den beiden Namen John K. Lattimer und Robert Kempner selbst einen Hinweis auf die zwielichtigen Eigentumsverhältnisse etlicher angebotener Objekte. Sie wurden in der Ausstellungsbeschreibung als die Vorbesitzer jener Stücke angegeben.

John K. Lattimer und Robert Kempner kamen den Nazi-Kriegsverbrechern sehr nahe. Lattimer war US-Arzt und für die medizinische Betreuung der Nazis in Haft zuständig. Robert Kempner war Stellvertreter des amerikanischen Chefanklägers im Prozess vor dem Internationalen Gerichtshof in Nürnberg. Was beide noch »auszeichnet« und sich auch im Auktionsangebot niederschlug: Bei ihnen landeten Dokumente und Beweisstücke, die eigentlich zum Bestand der Nürnberger Prozessakten gehören und im Privatbesitz nichts zu suchen haben. Die Möglichkeit, sie sich anzueignen, bot sich allemal.

Giftampulle

Aus John K. Lattimers Nachlass stammen unter anderem das Henkerseil und die Giftampulle. Er war der Erste, der die Leiche von Hermann Göring untersuchte. Hatte er den Behälter für die Giftampulle bei dieser Gelegenheit tatsächlich eingesteckt? Und wo hatte er die anderen Utensilien aus dem Privatbesitz der Nazis her?

Zweifelhaft sind auch die Eigentumsverhältnisse jener Dokumente, die angeboten wurden und Robert Kempner gehört haben. Wie seit dem Verfahren in Zusammenhang mit seinem Nachlass vor wenigen Jahren feststeht, hat auch er sich aus den Akten des Prozesses bedient. Unter anderem steckte er das Tagebuch von Hitlers Chefideologen Alfred Rosenberg ein, der den Kunstraub der Nazis im großen Stil organisierte und auch das verschollene Bernsteinzimmer aus St. Petersburg abtransportieren ließ.

Trotz dieser Umstände sah auch das bayerische Justizministerium keine Möglichkeit, die Auktion zu verbieten. Es sei zwar durchaus strafbar, in Deutschland Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation zu verbreiten oder Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen öffentlich zu verwenden. Anders verhalte es sich aber bei NS-Devotionalien: Der bloße Besitz oder der bloße Ankauf ohne die Absicht, die Objekte zu verbreiten, sei grundsätzlich nicht strafbar.

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