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2. März 2012

Rechtsterror-Ausschüsse: „Lackmustest“ für die Länder

Von Johann Tischewski, dapd. Der NSU-Ausschuss des Bundestages will bei der Aufklärung der rechtsgerichteten Mordserie die Bundesländer in die Pflicht nehmen. Zusammen mit dem Rechtsterror-Ausschuss des Thüringer Landtags plane das Gremium, über die Innenministerkonferenz eine ungehinderte Amtshilfe durchzusetzen, sagte der Vorsitzende des Bundestagsausschusses, Sebastian Edathy am 1. März 2012 in Berlin.

Gleichzeitig forderte das Gremium Akten aus allen 16 Bundesländern an. „Das wird auch ein Stück weit der Lackmustest sein für die Bereitschaft der Länder, uns Unterlagen zuzuleiten“, sagte Edathy weiter.

Ferner vereinbarten beide Untersuchungsausschüsse eine engere Zusammenarbeit. So soll es ein wechselseitiges Besuchsrecht und die Möglichkeit der gegenseitigen Einsichtnahme in Protokolle geben. „Wir wollen uns ständig abstimmen, um nicht parallel am Gleichen zu arbeiten“, sagte die Erfurter Ausschussvorsitzende, Dorothea Marx (SPD), der Nachrichtenagentur dapd.

Anlass sind die Ermittlungen zur Zwickauer Terrorzelle, die jahrelang nahezu unbehelligt von den Sicherheitsbehörden im Untergrund lebte und der zehn Morde zur Last gelegt werden. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages soll mögliche Versäumnisse der Bundesbehörden aufdecken, der Ausschuss des Erfurter Landtags den Ermittlungspannen der Thüringer Behörden nachgehen.

Doppelarbeit soll vermieden werden

Unterstützt wird der Bundestagsausschuss vom Strafrechtler Bernd von Heintschel-Heinegg, wie die Nachrichtenagentur dapd aus dem Gremium erfuhr. Der Jurist soll als Ermittlungsbeauftragter zunächst eine Vorauswahl aller relevanten Akten treffen.

Mit der Zeugenvernehmung wird der Bundestagsausschuss Ende April beginnen. Die Untersuchung soll dann in vier Arbeitsblöcke eingeteilt werden, die sich an der zeitlichen Entwicklung der Zwickauer Terrorzelle orientieren.

Zunächst soll der Zeitraum 2000 bis 2007 untersucht werden, in den die Mordserie der Terrororganisation fiel. Damit könne auch Doppelarbeit mit Thüringer Untersuchungsausschuss vermieden werden, der diesen Komplex voraussichtlich erst einmal ausklammern werde, sagte der Obmann der Union in dem Gremium, Clemens Binninger (CDU).

Phantombilder beschäftigen Ausschuss

Die Bundestagsabgeordneten wollen dem Vernehmen unter anderem einen Umstand beleuchten, der den Ermittlern erst nach dem Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle aufgefallen sei: So waren nach dem dritten Mordfall in Nürnberg im Jahr 2005 Phantombilder angefertigt worden. Die große Ähnlichkeit der Phantombilder mit den mutmaßlichen Tätern eines Nagelbombenanschlags in Köln 2004, die von einer Überwachungskamera gefilmt wurden, war den Ermittlern nicht aufgefallen. Die zwei Männer konnten seinerzeit mit dem Fahrrad flüchten.

Bei der nächsten Sitzung des Rechtsterror-Ausschusses des Bundestages am 8. März soll die Ombudsfrau für die Opfer der Zwickauer Terrorzelle, Barbara John, gehört werden. Zudem ist laut Edathy für den gleichen Tag ein Treffen mit der Bund-Länder-Expertenkommission geplant.

Breite Unterstützung für Verbunddatei

Von Joachim Peter, dapd. Bei der geplanten Einführung einer Neonazi-Verbunddatei ziehen Regierung und Opposition weitgehend an einem Strang. Nach der ersten Lesung im Bundestag am 1. März 2012 zeichnet sich eine breite Zustimmung für das Gesetzesvorhaben ab. Lediglich die Linke hat angekündigt, dem Projekt keinesfalls zustimmen zu wollen.

In das von Ermittlern künftig bundesweit abrufbare Verzeichnis sollen Rechtsextremisten aufgenommen werden, die einen klaren Gewaltbezug aufweisen. Eine rechtsextreme Gesinnung oder die Mitgliedschaft in der NPD reicht allein zur Nennung nicht aus. Mit der Maßnahme soll die Zusammenarbeit der über dreißig deutschen Sicherheitsbehörden gestärkt werden.

Anlass der Reform ist die Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrund“. Die rechtsterroristische Gruppe war im November 2011 aufgeflogen. Ihr werden zehn Morde bundesweit zur Last gelegt. Die Straftaten der Terroristen blieben über ein Jahrzehnt lang unentdeckt, obwohl Polizei- und Geheimdienste die rechtsextremistische Szene intensiv überwachen. Mit der Einführung der Verbunddatei soll es den Sicherheitsdiensten künftig möglich sein, Informationen besser zu erfassen und schneller zu verknüpfen.

Rechtsextremistische Strukturen rechtzeitig erkennen

Es sei wichtig, rechtsextremistische Strukturen „rechtzeitig zu erkennen“, sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im Bundestag. Der Informationsaustausch der Sicherheitsbehörden werde durch die Verbunddatei erheblich verbessert. Alle Behörden könnten nun sogenannte Grunddaten abrufen und erste Erkenntnisgewinne anderer Behörden nutzen. FDP-Innenexperte Hartfrid Wolff bekräftigte, mit dieser „gemeinsamen elektronischen Plattform“ gewinne der Rechtsstaat „neue Schlagkraft in seiner legitimen Abwehr gegen rechtsextremistische Bestrebungen“.

Auch die SPD hält eine solche Datei für unabdingbar. Bei den Beratungen in dieser Frage werde seine Fraktion der Bundesregierung „die Hand reichen“, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Michael Hartmann. Für die Grünen verlangte Wolfgang Wieland weitere Maßnahmen von der Regierung im Kampf gegen Rechts: „Auf dem Tisch liegt ein Gesetzentwurf zu einer Datei. Das kann natürlich nicht alles gewesen sein.“ Notwendig sei „so etwas wie ein Rettungspaket, ein Masterplan, wie wir tatsächlich Gelände wieder zurückgewinnen“.

Die Linken lehnten die Neonazi-Verbunddatei kategorisch ab. Innenexpertin Ulla Jelpke sprach gar von einem „Skandal“. Eine solche Verbunddatei verstoße „gegen den Grundsatz der Trennung“ von Polizei- und Sicherheitsbehörden, sagte Jelpke im Bundestag. Das Gesetz stärke überdies die Rolle der Geheimdienste, die nun „nach Belieben schnüffeln können – das geht nicht in einem Rechtsstaat“.

Unterschiedliche Einschätzung bei NPD-Verbotsverfahren

Die Debatte über die Verbunddatei verlief vergleichsweise sachlich. Dennoch wurde darin deutlich, dass Regierung und Opposition ein mögliches NPD-Verbotsverfahren inzwischen unterschiedlich bewerten: Union und FDP warnten vor den Folgen für Staat und Gesellschaft, sollte ein solches Verfahren einmal mehr gerichtlich scheitern. Die Hürden, die Karlsruhe für Parteienverbote aufgestellt habe, seien hoch.

„Der Ruf nach einem NPD-Verbot ist verständlich, ist aber nicht der allein selig machende Weg“, sagte CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl. Er selbst glaube eher, „dass wir uns mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass … leider auch rechtsextreme Gedanken frei sind“. Auch in Zukunft würden Menschen mit solchem Gedankengut frei herumlaufen können. Uhl sagte weiter, es sei „sehr viel wichtiger“ als ein NPD-Verbot, den Kampf gegen rechtsextremes Gedankengut „in der Gesamtgesellschaft sehr ernst zu betreiben“.

SPD-Innenexperte Hartmann bekräftigte hingegen, die NPD sei der „legale Arm einer Gesamtbewegung“, die sich gegen den auf Freiheit gründenden Staat richte. „Daher müssen alle Anstrengungen entschlossen unternommen werden, um diese Partei endgültig zu verbieten“, sagte Hartmann in seiner Rede vor dem Parlament und fügte – an die Adresse der Union gerichtet – hinzu: „Ich wundere mich, dass sie da nicht klatschen.“

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