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23. April 2012

Piraten verheddern sich im braunen Unterholz

Erschienen auf Welt Online. Großalarm bei den Piraten: Ein Berliner Abgeordneter vergleicht seine Partei mit der NSDAP – und muss seine bundespolitischen Ambitionen umgehend begraben. Die politische Konkurrenz ist außer sich.

Ein führender Vertreter der Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus hat mit einem Vergleich der Piraten mit der NSDAP für eine Welle der Empörung gesorgt. Der Berliner Fraktionsgeschäftsführer Martin Delius sagte dem „Spiegel“: „Der Aufstieg der Piratenpartei verläuft so rasant wie der der NSDAP zwischen 1928 und 1933.“

Piratenchef Sebastian Nerz distanzierte sich umgehend von Delius. „Die NSDAP als Vergleich heranzuziehen ist natürlich völliger Unsinn“, sagte er dem Tagesspiegel.

Eine Woche vor dem Parteitag der Piraten in Neumünster zog Delius seine Kandidatur für den Bundesvorstand der Partei daraufhin zurück. Er sagte, so wie er unter dem Eindruck seiner NSDAP-Äußerung künftig wahrgenommen würde, könnte er sich im Parteivorstand nicht mehr bewegen, was er möchte.

Der SPD-Fraktionsgeschäftsführer im Bundestag, Thomas Oppermann, verurteilte den NSDAP-Vergleich: „Der historische Vergleich ist geschmacklos und unangemessen. Ich bin erschreckt, dass die Frage des Umgangs und der Bewertung des Rechtsextremismus in der Piratenpartei nicht geklärt zu sein scheint“, sagte Oppermann Welt Online.  Der ganze Vorgang zeige, dass „die Piraten noch einen weiten Weg vor sich haben.“

Roth beklagt „rechte Tendenzen“

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast forderte die Piratenpartei aufgefordert, ihr Verhältnis zum Rechtsextremismus und zur deutschen Geschichte grundsätzlich zu klären. „Die Piratenpartei muss jetzt grundsätzlich klären, ob sie rechtsextremistische Einstellungen und Bestrebungen in ihren Reihen duldet“, sagte Künast der Berliner Morgenpost.

„Sie müssen sich ernst nehmen lassen wie jede andere Partei auch. Deshalb reicht es nicht, wenn einzelne Parteimitglieder hier und da ihre unhaltbaren Äußerungen zurücknehmen.“ Vielmehr müssten die Piraten zeigen, welches Verhältnis sie zur deutschen Geschichte hätten und ob sie sich ihrer daraus erwachsenden Verantwortung bewusst seien.

„Ich möchte wissen, auf welchem Auge der Pirat seine Klappe hat“, sagte Grünen-Chefin Claudia Roth. Die Piraten sollten ihren Umgang mit internen rechten Tendenzen rechtzeitig vor den nächsten Wahlen klären. „Ich finde, dass man erwarten kann, dass es eine klare Absage gibt an jede Form von Rechtsextremismus und an jede Form von Sexismus.“

Die Vizechefin der Linken, Katja Kipping, sagte: „Wenn die Piraten hier keine klare Linie ziehen, dann müssen sie sich die Frage gefallen lassen, ob sie bewusst am rechten Rand Stimmen fangen wollen.“

„Größenwahnsinn und Leichtsinn“

Der Chemnitzer Politologe und Extremismus-Experte Eckhard Jesse sagte hingegen: „Solche Äußerungen sind natürlich völlig unmöglich. Dennoch bleibt festzustellen, dass es bei der Piratenpartei keine ernst zu nehmenden rechtsextremen Tendenzen gibt.“ Bei den Piraten handele es sich um eine linkslibertäre Formation, deren Funktionäre offenbar zu einem gewissen Größenwahnsinn oder auch Leichtsinn neigen würden.

„Da meinen offensichtlich einige, sie könnten sich schlicht alles erlauben, selbst derartige Provokationen“, sagte Jesse.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte die Piraten zur Klarstellung auf, „dass mit ihren rechtsextremistischen Umtrieben nicht der Eindruck entsteht, sie fischten rechte Proteststimmen ab“. Wie könne man als halbwegs gebildeter Mensch auf die Idee kommen, einen Vergleich mit dem für die Deutschen so tragischen Aufstieg der NSDAP in der Weimarer Republik anzustellen?, fragte sie in Spiegel Online.

Auf Twitter sah sich Delius heftiger Kritik ausgesetzt. In seinem Blog bestätigte er, richtig zitiert worden zu sein. Er übernehme die volle Verantwortung, twitterte er. Der Berliner CDU-Generalsekretär Kai Wegner legte Delius in der Zeitung „B.Z.“ den Rücktritt als parlamentarischer Geschäftsführer nahe.

Piraten-Landeschef Hartmut Semken, der sich drastisch gegen den Ausschluss von Piraten mit rechtsradikalen Positionen gewandt hatte, verteidigte seine Haltung. „Ich werde nicht verachten lernen, deswegen werde ich selbst auf Nazis nicht mit Verachtung reagieren“, sagte er dem „Spiegel“. „Wenn ich damit ungeeignet bin, den Landesverband zu vertreten, dann haben wir tatsächlich ein Problem.“

„Nackt an der Reling“

Zugleich wurden die Stimmen lauter, die den Piraten ein Fehlen inhaltlicher Ziele vorwarfen. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe meinte in der Welt am Sonntag, bei den meisten Themen stünden die Piraten nackt an der Reling. Claudia Roth warf Parteichef Nerz in der Bild am Sonntag vor: „Sie müssen doch zumindest eine Meinung äußern können, an der man sich dann auch orientieren kann.“

Nerz wies dies zurück. „Die Meinung der Piraten wird von der Basis erarbeitet und nicht vom Vorsitzenden vorgegeben.“ Es gebe in der Partei aber ein klares Bekenntnis gegen Rechtsextremismus und Rassismus, beteuerte er in dem Blatt.

Regierungsbeteiligungen schließt die Piratenpartei nach den anstehenden Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen nicht aus. „Wir sind bereit, uns der Verantwortung zu stellen“, sagte Nerz.

Er warb für die Zustimmung der Delegierten für seine Bestätigung an der Parteispitze: „Ich habe mehr Erfahrung, als es meine möglichen Nachfolger hätten.“ Er sagte zugleich: „Wenn ich nicht gewählt würde, wäre es keine Katastrophe.“

SPD und Grünen zeigten sich insgesamt gelassen trotz der guten Umfragewerte für die Piraten. „Sie sind weder eine Gefahr für das christliche Abendland noch für den bürgerlichen Rechtsstaat“, unterstrich SPD-Chef Sigmar Gabriel in der „Welt am Sonntag“. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte: „Wir sind kein Piratenbekämpfungskommando. Wir sind die Grünen.“

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