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5. März 2012

Obamas „rote Linie“ vor dem Krieg gegen den Iran

Von Ansgar Graw, Welt Online, 4. März 2012. Vor dem Treffen zwischen dem US-Präsidenten und Israels Regierungschef Netanjahu nimmt Obama „keine Option vom Tisch“. Auch nicht die einer Militäraktion.
Israels Premier insistierte am Telefon: „Ich bitte Sie, die Atomanlage zu bombardieren.“ Der US-Präsident lehnte zur Enttäuschung des Bittstellers ab: „Ich kann einen Angriff auf einen souveränen Staat nicht rechtfertigen, bevor meine Nachrichtendienste bestätigen, dass es sich um ein Waffenprogramm handelt.“ Das Gespräch fand vor ziemlich genau fünf Jahren zwischen Ehud Olmert und George W. Bush statt.

Es ging um einen für die Atomwaffenproduktion vorgesehenen Reaktor in Syrien. Am Montag stehen im Weißen Haus beim Treffen Barack Obamas mit Benjamin Netanjahu ähnliche Fragen an, diesmal mit Bezug auf den Iran.

Wie Olmert drängt Netanjahu auf eine rasche Entscheidung zu einer Militäraktion, während Obama auf die Bremse tritt. Der Unterschied: Nicht als Bittsteller kommt der Premier des kleinen Israel nach Washington, sondern als jemand, der dem Präsidenten der Supermacht die Agenda diktiert.

Wie dicht ist Teheran an der Atombombe? Ab wann sind Irans entsprechende Anlagen so verbunkert, dass sie vor jedem Militärschlag geschützt sind? Welche „roten Linien“ definieren Obama und Netanjahu, die beide öffentlich versichern, eine atomare Bewaffnung des Iran niemals zu akzeptieren? Über diese Fragen sind der Präsident und der Premier zerstritten.

Obama möchte USA aus nahöstlichen Waffengängen heraushalten

Obama, der im Wahlkampf für seine zweite Amtszeit steht, möchte die USA aus neuen nahöstlichen Waffengängen möglichst heraushalten. Netanjahu lässt hingegen keine Zweifel an seiner Entschlossenheit, die Bedrohung aus dem feindseligen Iran militärisch zu beantworten. Das stärkt die Verhandlungsposition des Gastes.

Vor zwei Jahren wurde Netanjahu wegen seiner aggressiven Siedlungspolitik bei einem Besuch im Weißen Haus von Obama mit brüsker Unfreundlichkeit und ohne gemeinsamen Pressetermin abgefertigt. Inzwischen sind die jüdischen Siedlungen im Westjordanland, die Obama zu Beginn seiner Amtszeit als das zentrale Nahost-Problem definierte, kein Thema mehr. Netanjahu hat den Iran an die Spitze der sicherheitspolitischen Agenda beider Länder gerückt.

Vor dem pro-israelischen Lobbyverband Aipac unterstrich Obama am Sonntag in Washington diese Neugewichtung. Der Präsident erwähnte die Siedlungsfrage überhaupt nicht, sondern betonte mit Blick auf Irans Atomprogramm, er nehme „keine Option vom Tisch“ – also auch nicht die eines Militärschlages. Das sei kein „Bluff“, hatte er vorab in einem Interview mit der Zeitschrift „The Atlantic“ versichert.

Obama will Teheran und Jerusalem gleichermaßen von seiner grundsätzlichen Bereitschaft zur militärischen Lösung überzeugen. In seiner Rede betonte Obama, er werde auf Gewalt nicht verzichten, „wenn sie notwendig ist, um unsere Interessen zu verteidigen“. Ein nuklear bewaffnetes Iran stünde den Sicherheitsinteressen Israels wie der USA völlig entgegen.

Obama verteidigt seine Israel-Haltung

Zugleich versicherte der Präsident, dass Iran die Atomwaffe „noch nicht“ habe. Er wies auf die internationalen Sanktionsmaßnahmen gegen den Iran hin, die sich bereits lähmend auswirkten. Weiterhin verfolge er das Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung im nahen Osten und einer Friedenslösung, die vor allem im Interesse Israels liege.

Ausführlich und in erkennbarer Reaktion auf republikanische Vorwürfe mangelnder Solidarität mit Israel erinnerte der Präsident daran, dass er in seiner Politik und in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung zur Frage einer Anerkennung eines Palästinenser-Staates immer eindeutig die Seite Israels bezogen habe.

Die US-Geheimdienste bleiben bislang bei ihrer Einschätzung, dass Teheran zwar auf die Entwicklung hoch angereicherten Urans hinarbeite, aber noch keine Entscheidung getroffen habe, ein 2003 gestopptes Programm zur Entwicklung eines Gefechtskopfes wieder aufzunehmen.

Diese konkrete Waffenproduktion scheint bislang die „rote Linie“ der Obama-Administration zu sein, deren Überschreitung einen Militäreinsatz zur Folge hätte. Washington werde dem Iran „nicht erlauben, eine Atombombe zu entwickeln“, sagte Obama immer wieder. CIA-Chef David Petraeus präzisierte im Januar, eine „Uran-Anreicherung auf ein Niveau von 90 Prozent wäre ein ziemlich guter Indikator“ für derartige Pläne Teherans.

Irans Uran-Anreicherung schon jetzt mehr als für zivile Zwecke

Bislang ist der Iran bei einer Anreicherung von 20 Prozent angekommen. Bereits dieser Anreicherungsgrad liegt weit oberhalb des Niveaus für zivile Zwecke. Washington scheint aber bereit zu sein, einen solchen Anreicherungsgrad ebenso zu akzeptieren wie die Weigerung Teherans, der internationalen Atomaufsichtsbehörde IAEA unbegrenzte Inspektionen zu erlauben.

Iran dürfte sich praktisch die Fähigkeit und Infrastruktur zur Produktion von Nuklearwaffen verschaffen, ohne die letzten Schraubenumdrehungen zu vollziehen. Aber wer wollte garantieren, dass der finale Schritt nicht folgen würde? Netanjahus „rote Linie“ liegt deshalb schon bei einem Iran an dieser Schwelle zur Atomwaffenfähigkeit. Sie wäre für Israel eine inakzeptable Existenzbedrohung.

Die Eilbedürftigkeit wird dadurch gesteigert, dass Teheran die Anreicherungsanlage in Fordo unter 80 Meter dickem Granitgestein konstruiert. Damit kann das Atomprogramm sehr bald die „Zone der Unverwundbarkeit“ erreichen und wäre nicht einmal mehr für die stärksten bunkerbrechenden Bomben der USA zu knacken.

Militärschlag wäre für Israel eine Herausforderung

Schon jetzt freilich wäre ein Militärschlag für Israels Luftwaffe eine Herausforderung. Mindestens vier Ziele im Iran müssten bombardiert werden – die Anreicherungsanlagen in Fordo und Natans, der Schwerwasser-Reaktor in Arak und eine Anlage in Isfahan, wo das für die Bombenproduktion notwendige Uranerzkonzentrat „Yellowcake“ gewonnen werden kann.

Mindestens 3200 Kilometer müssten Israels Kampfflugzeuge vom Typ F-15 und F-16 zurücklegen und sich spätestens auf dem Heimweg in der Luft betanken lassen. Israel verfügt über rund 125 Exemplare der Jets. Das könnte ausreichen. Hinzu kommen waffenfähige Drohnen. Zudem besitzt Israel mindestens acht Betankungsflugzeuge vom Typ Boeing KC-707.

Israel werde mit „großer Wahrscheinlichkeit“ den Iran im „April, Mai oder Juni“ angreifen, vermutete US-Verteidigungsminister Leon Panetta im Februar. Die Formulierung legt nahe, dass Jerusalem eine solche Aktion durchführen könnte, ohne Washington vorab zu konsultieren.

Alleingang Israels wäre für Obama unangenehm

Sie mag aber auch als Signal an Israel verstanden werden: „Wenn ihr zum Militärschlag entschlossen seid, müsst ihr ihn auf eigene Rechnung durchführen.“ Doch für Obama wäre auch ein Alleingang Israels unangenehm. Die republikanischen Präsidentschaftskandidaten würden ihn der mangelnden Loyalität zum engsten Verbündeten und der Nachgiebigkeit gegenüber Teheran bezichtigen.

Netanjahu könnte darum im Weißen Haus einen politischen Deal anstreben: Israel verzichtet zunächst auf eine Militäraktion. Im Gegenzug sichert Obama für den Fall der weiteren Wirkungslosigkeit der Anti-Iran-Sanktionen die Beteiligung der USA bei einer Bombardierung der Atomanlagen zu einem späteren Zeitpunkt zu – mutmaßlich nach den amerikanischen Wahlen, die am 6.November stattfinden.

Zurück zu den Verhandlungen zwischen Bush und Olmert vor fünf Jahren: Im September 2007 zerstörte die israelische Luftwaffe die syrische Atomanlage. „Premier Olmert hatte mich nicht um meine Zustimmung gebeten“, schreibt Bush in seinen Memoiren. „Er tat das, was aus seiner Sicht notwendig war, um Israel zu schützen.“

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