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18. Mai 2012

NS-Plakate: Wie Künstler zu Propagandisten der Nazis wurden

Von Hermann Weiß, erschienen auf Welt Online. Eine Ausstellung im Münchner Stadtmuseum zeigt mehr als 100 Arbeiten aus dem Jahren 1933 bis 1945. Einige Leerstellen bleiben. Der Kurator Thomas Weidner denkt nun über Nachbesserungen nach. „Typisch München“ heißt eine Ausstellung im Münchner Stadtmuseum, die der Kunsthistoriker Thomas Weidner, 49, als Kurator mit betreute. Sie kreist um die Frage, was München jenseits der gängigen Lederhosen-Klischees sonst noch ausmacht. Weidner fand viele Antworten. Eine hat er unterschlagen – das sind die Anfeindungen aus unterschiedlichsten Lagern, auf die man gefasst sein muss, wenn man sich in München als Kurator und Museumsmann mit dem Nationalsozialismus befasst.

Nirgends wurde so erbittert um die Wehrmachtsausstellung („Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1945“) gestritten wie 1997 in München, wo die CSU die „linke Stadtregierung“ der Kumpanei mit den Ausstellungsmachern bezichtigte und die „pauschale Verunglimpfung aller Wehrmachtsangehörigen“ beklagte.

Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), der damals angesichts des „schwarzbraunen Feldgeschreis“ auf Durchzug stellte, stoppte fünf Jahre später die Eröffnung der Ausstellung „Nationalsozialismus in München – Chiffren der Erinnerung“. Kuratorin Brigitte Schütz musste gehen, weil ihr Konzept das perfide System der Nazis verharmlose statt ihm auf den Grund zu gehen, so Ude.

Die Nazi-Zeit ist in München ein heikles Thema

Auch in der Gründungsphase des NS-Dokumentationszentrums ging es jüngst nicht ohne Kollateralschaden ab. Der Vertrag mit der designierten Leiterin Irmtrud Wojak wurde nach offizieller Sprachregelung „einvernehmlich“ aufgelöst. Kolportiert wurde, dass Wojaks konzeptionelle Vorstellungen für das Haus zu diffus gewesen seien und vor allem erlebnispädagogisch nicht auf der Höhe der Zeit.

Ausstellungen zum Nationalsozialismus sind immer heikel, sagt Thomas Weidner. Dass die „Aufregung“ in München gar so groß ist, kommt für ihn aber nicht aus heiterem Himmel: „Es liegt an der Vergangenheit der Stadt als Hauptstadt der Bewegung. Und daran, dass es bei der Aufarbeitung dieser Geschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu eklatanten Versäumnissen gekommen ist.“

„Das Ganze“, sagt Weidner, „ging eher zögerlich vonstatten.“ Die Folge ist, dass die einen von dem Thema am liebsten gar nichts mehr hören wollen, während es den anderen nie ausführlich genug sein kann. Letzteres bekommt Weidner im Zusammenhang mit einer neuen, von ihm konzipierten Ausstellung im Münchner Stadtmuseum gerade am eigenen Leib zu spüren.

Die Künstler mussten sich ideologisch nicht verbiegen

„Typografie des Terrors – Plakate in München von 1933 bis 1945“ zeigt exemplarisch, an über 100 ausgewählten Plakaten aus dem Bestand der Sammlung des Münchner Stadtmuseums, wie geschickt sich die Nazis eines Mediums bedienten, das ihnen die größtmögliche Aufmerksamkeit garantierte.

„München war eine Plakatstadt“, sagt Weidner. Und: Mit den Abgängern der Akademie der Bildenden Künste wie auch der Akademie für Angewandte Kunst, die Jahr für Jahr auf den Arbeitsmarkt drängten, gab es ein irres Potenzial, einen schier unerschöpflichen Pool an Kreativen, aus dem die Nazi-Propagandisten munter schöpften.

In die Hand spielte ihnen dabei, dass viele von den Künstlern, die sich damals bei der NSDAP und den Autobahnbauern der Organisation Todt, beim Winterhilfswerk und bei der SA, in den Werbeabteilungen der (arisierten) Kaufhäuser und bei der Polizei um Jobs bewarben, sich dafür weltanschaulich nicht verbiegen mussten.

An den Münchner Akademien herrschte schon vor der Gleichschaltung eine konservative bis reaktionäre Grundstimmung. Es passte alles gut zusammen. Und das Ergebnis – die langsame Durchdringung der Gesellschaft mit nationalsozialistischen Wertvorstellungen bis hin zu offen menschenverachtender Ideologie – zeichnet Weidner mustergültig nach.

Zu jedem der über 100 Plakate gibt es eine Legende

Trotzdem – oder gerade deshalb – bläst ihm nun in München der Wind ins Gesicht. Die Ausstellung sei womöglich gut gemeint, unterm Strich aber „pure Propaganda“, schrieb die SZ. Weidner lasse den Besucher mit den Plakaten allein – was Weidner selbst, verständlicherweise, anders sieht.

Der 49-Jährige, Leiter der Sammlung Grafik und Gemälde im Münchner Stadtmuseum, ist seit 2001 am Haus. Er ist damit in einer vergleichsweise bequemeren Position als einst Brigitte Schütz. Die von der SZ gegen ihn erhobenen Vorwürfe sind denen, die bei ihr zum Bruch mit Ude führten, aber nicht ganz unähnlich.

Stein des Anstoßes ist in beiden Fällen die angeblich fehlende bzw. ungenügende Kontextualisierung der Exponate. Weidner kontert: „Zu jedem der über 100 Plakate gibt es eine Legende. Wir erklären, auf welches Ereignis sich das Plakat bezieht, wer es in Auftrag gegeben hat, mit welchen künstlerischen Mitteln der Maler/ Grafiker hier arbeitet und um wen es sich dabei handelt.“

Volksgemeinschaft und Judenhetze, Offensichtliches und Subtiles

„Typografie des Terrors“ ist chronologisch aufgebaut, nicht nach Themen, „denn in einer Diktatur gibt es kein apolitisches Plakat“, sagt Weidner.

So kommt es, dass man beim Wandern durch die Jahre 1933 bis etwa 1937 München als sinnenfrohe, wohlstandssatte Stadt erlebt, in der es vor allem um Mode und Vergnügungen geht. Dazwischen künden Plakate wie der Aufruf zur Mitgliedschaft in der NS-Volkswohlfahrt, dem Bund Deutscher Mädel oder der Hitlerjugend vom Erstarken einer Macht, die – einer vielarmigen Krake gleich – ihre Finger nach der Stadt und den Menschen ausstreckt.

Es ist viel von Volksgemeinschaft die Rede – gleichzeitig wird mit übler Hetze („Der ewige Jude“) die Ausgrenzung vorangetrieben, zeigt das Regime seine wahre, grässliche Fratze.

„Das ist Propaganda. Schrecklich platt“, sagt Thomas Weidner: „Aber es gibt auch Beispiele, wo die Macher subtiler zu Werke gingen wie etwa Ludwig Hohlwein auf seinem Plakat für die Olympischen Winterspiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen.“

Hohlwein, der nach Überzeugung Weidners mit seinen Plakaten das visuelle Erscheinungsbild des Dritten Reiches ähnlich nachhaltig prägte wie Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann mit seinen Bildern, setzt hier einen Wintersportler mit angedeutetem Hitler-Gruß so in Szene, dass man die Geste zwar nicht direkt sieht, aber zweifelsfrei erahnt. Die Absicht war, „den Hitler-Gruß auf diesem Weg auch dem internationalen Publikum aufzubürden“.

Die meisten Plakat-Gestalter kamen unbehelligt davon

Wie Hohlwein, der rund 40 Plakate für die Nazis machte und 1949 weitestgehend unbehelligt in Berchtesgaden starb, gibt es eine Reihe von „Künstlern“, die sich freiwillig zu Handlangern des Regimes machten und dafür nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Im Gegenteil.

Der Münchner Max Eschle (1890-1979) verhängte als Amtswalter der Reichskammer der bildenden Künste Berufsverbote gegen Künstlerkollegen und übernahm 1954 den Vorsitz der Münchner Künstlergenossenschaft.

Anton M. Kolnberger aus Reisbach an der Vils (1906-1976), der die eindeutig rassistisch konnotierten Plakate für die Faschingsbälle des Reichskolonialbundes im Deutschen Theater zu verantworten hat, illustrierte später Kinderbücher (!) wie „Die Biene Maja“.

Max Heiss (1904-1971), damals Mitarbeiter am Historischen Museum der Stadt, war als Kunstsachverständiger dabei, als die Gestapo 1938/39 insgesamt 65 jüdische Privathaushalte in München und im Umland plünderte. Trotzdem brachte er es nach dem Krieg – ausgerechnet! – bis zum Chefposten im Münchner Stadtmuseum, den er von 1954 bis 1969 bekleidete.

„Es gibt da eine starke Kontinuität“, sagt Thomas Weidner. Die Hinweise darauf muss man sich allerdings im Katalog zusammensuchen. Das ist dann wirklich zu wenig. Und das kann man der Ausstellung und dem Kurator tatsächlich ankreiden. Weidner denkt nun über Nachbesserungen nach.

Weitere Informationen unter stadtmuseum-online.de.

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