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21. August 2012

Milzbrand, Kamelpocken, Hasenpest: Assads Biowaffen-Arsenal bedroht die Israelis

Syrien besitzt seit mehreren Jahren ein umfangreiches Arsenal an Bio-Waffen. Das Know-how dazu stammt zum Großteil aus der ehemaligen Sowjetunion. Vor allem Israel muss sich fürchten. Von Hans Rühle, erschienen auf Welt Online.

Seit den vergeblichen Bemühungen der USA, die Massenvernichtungswaffen des irakischen Diktators Saddam Hussein aufzuspüren, war jeder Versuch, das Problem solcher Kampfmittel in den Ländern des Nahen Ostens zu thematisieren, mit dem Vorbehalt mangelnder Seriosität belegt. Das galt lange Zeit auch für Syrien. Erst als ein israelischer Luftangriff im September 2007 einen fast funktionsfähigen Atomreaktor im syrischen al-Kibar zerstörte, wurde das Thema syrischer Massenvernichtungswaffen wieder aktuell.

Doch der Diskussionsgegenstand erwies sich als äußerst sperrig, vor allem weil nur wenige belastbare Informationen zur Verfügung standen. Zwar weiß man noch immer nur wenige Einzelheiten, doch die syrische Regierung hat Ende Juli öffentlich eingeräumt, über chemische und biologische Waffen zu verfügen.

Inzwischen ist das Potenzial syrischer Chemiewaffen mehrfach sachkundig dargestellt worden, das Problem biologischer Waffen in syrischer Hand liegt aber weiterhin im Dunkeln. Sie wurden nur kurz öffentlich angesprochen, als der damalige Chef der CIA im März 2000 feststellte, dass „etwa ein Dutzend Staaten, darunter einige dem Westen tendenziell feindlich gesinnte – Iran, Irak, Libyen, Nordkorea und Syrien – offensive biologische und chemische Waffen besitzen oder sich darum bemühen“.

„Offensives, biologisches Waffenprogramm“

Wenige Monate später zog der Direktor des militärischen Geheimdienstes nach, indem er die Aussagen seines CIA-Kollegen ausdrücklich bestätigte. Schließlich ließ erklärte auch John Bolton, damals Staatssekretär für Rüstungskontrolle und internationale Sicherheit im US-Außenministerium, bei einer Konferenz in Genf im November 2001, Syrien habe „ein offensives biologisches Waffenprogramm in der Forschungs- und Entwicklungsphase“.

Schon kurz darauf, bei einem Vortrag im Mai 2002, schloss Bolton ausdrücklich nicht aus, dass Syrien bereits in der Lage sei, kleinere Mengen an waffenfähigem Material zu produzieren.

Dass diese Beurteilung der Lage einen realen Hintergrund hatte, demonstrierte der syrische Verteidigungsminister, General Mustafa Tlas, der im Jahr 2000 einen ausführlichen Artikel über „Biologische Waffen: eine neue und effektive Methode moderner Kriegführung“ veröffentlicht hatte.

Nach geheimdienstlichen Erkenntnissen und Aussagen von Jill Dekker, der einzig wirklichen Expertin für die biologischen Waffen Syriens – sie schreibt gerade ein Buch darüber – arbeiten die syrischen Labore derzeit an Milzbrand, Pest, Tularemia (Hasenpest), Botulinum, Cholera, Ricin, Kamelpocken, Blattern und Aflatoxin.

Ausgangsmaterial stammt aus Russland

Das Ausgangsmaterial stammt überwiegend aus Russland, wo nach dem Zerfall der Sowjetunion die Erbmasse meistbietend in alle Richtungen verscherbelt wurde. Das Material aus der ehemaligen Sowjetunion kam jedoch nicht nur auf direktem Weg nach Syrien, sondern auch indirekt über Nordkorea und Iran, die unmittelbar nach 1990 gezielt und mit erheblichem Aufwand im neuen Russland biologisches Waffenmaterial akquirierten und ehemals sowjetische Wissenschaftler mit einschlägigen Kenntnissen anwarben.

Zwei weitere Länder waren am Aufbau des syrischen Bestands an biologischen Waffen beteiligt: der Irak und Südafrika. Der Irak hatte in den 70er- und 80er-Jahren, als Bakterien und Virenstämme im wissenschaftlichen Austausch noch problemlos transferiert werden konnten, ein beachtliches Programm zum Bau biologischer Waffen aufgelegt.

Nach dem ersten Irakkrieg 1991 gelang es den Inspekteuren der UN erst nach mehreren Jahren und mithilfe des Schwiegersohns von Saddam Hussein, das Programm zu lokalisieren und teilweise unschädlich zu machen.

Es gilt inzwischen jedoch als gesichert, dass Teile des Programms überlebten und kurz vor dem zweiten Irakkrieg 2003 nach Syrien verbracht wurden. Mit dem Material kamen auch die Wissenschaftler. Im Falle Südafrikas, das zwischen 1983 und 1992 ein biologisches Waffenprogramm unter dem Codenamen „Project Coast“ betrieben hatte, ging es wohl weniger um Materialfluss als um Wissenstransfer.

Wissenstransfer wichtiger als Material

Denn Informationen sind die eigentliche Währung auf diesem Gebiet. Dastan Eleukenov, der Leiter des Monterey-Instituts in Kasachstan, sagte nicht ohne Grund vor einigen Jahren: „Wenn es um biologische Waffen geht, ist der Wissenstransfer wichtiger als das Material.“

Die Wissenschafts-Söldner im Bereich biologischer Waffen wurden mit der Zeit zu einem zentralen Problem der Proliferation von Massenvernichtungswaffen. David E. Hoffmann hat 2009 in seinem mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Buch „The Dead Hand“ diesen Aspekt ausführlich beschrieben.

Auch wenn mehrere Staaten an der Ausrüstung Syriens mit biologischen Waffen beteiligt waren, ist das syrische Programm im Wesentlichen ein Derivat des ehemals sowjetischen. Und dies war von gigantischem Ausmaß. Mit 60.000 Mitarbeitern hatte es dieselbe Größe wie die militärische Nuklearindustrie der UdSSR.

Dennoch hatte der Westen nicht die geringste Ahnung von der Existenz dieses Programms. Erst als sich 1989 mit Wladimir Pasechnik ein führender sowjetischer Wissenschaftler nach London absetzte und das Programm offen legte, wurde die Dimension des Problems klar: Die Sowjetunion hatte ein umfassendes Konzept zur biologischen Kriegsführung entwickelt und sich hierfür entsprechend ausgerüstet.

Resistente Stämme gezüchtet

Nicht nur wurden alle weltweit verfügbaren Stämme von Bakterien und Viren kultiviert, es wurden auch neue, gegen alle gängigen Antibiotika resistente Stämme im traditionellen Verfahren gezüchtet, genmanipulierte Stämme konstruiert und entsprechende Gegenmittel entwickelt.

Schließlich wurden die Pathogene lagerfähig gemacht (was im Westen als unmöglich galt) und mit entsprechenden Trägermitteln militärisch einsetzbar gemacht. „BIOPREPARAT“, so der Name der sowjetischen Biowaffen-Organisation, hätte in einer wenige Monate dauernden Vorphase eines Krieges 300 Tonnen Milzbrand herstellen können; bei einer Vorphase von einem Jahr wären es mehrere Tausend Tonnen von acht verschiedenen Erregern gewesen.

Als Andy Weber, ein hochkarätiger amerikanischer Diplomat 1995 ehemals sowjetische Anlagen zur Produktion von Biowaffen inspizierte, schrieb er sichtbar betroffen: „Ich habe nie an Reagans Bezeichnung der Sowjetunion als ‚Reich des Bösen’ geglaubt. Ich war ein Produkt des Ostküsteliberalismus, habe an der Cornell Universität studiert. Und nun sah ich es plötzlich, stand dem ‚Bösen’ Auge in Auge gegenüber.“

Nach dem Ende der Sowjetunion wurde das biologische Waffenprogramm weitgehend eingestellt. Viele Beschäftigte wurden arbeitslos. Dabei waren nach Einschätzung der amerikanischen Geheimdienste mindestens 7000 Wissenschaftler, die als „critical proliferation risks“ eingestuft wurden.

Schurkenstaaten warben um Wissenschaftler

Vielen blieb nichts anderes übrig, als ihr Wissen im Ausland zu vermarkten. Der Iran bot nachweislich 5000 US-Dollar Monatsgehalt an. Doch auch Nordkorea, Indien, China und Syrien akquirierten einschlägiges Personal. Die dramatische Erkenntnis war allerdings, dass sich einige ehemals sowjetische Spezialisten für biologischen Waffenbau bei der Al-Qaeda in Afghanistan bewarben, wo die Terrororganisation sich bereits bemühte, Milzbrand waffenfähig zu machen.

Das syrische Programm für die Entwicklung und Produktion biologischer Waffen wird nachweislich unter Mitarbeit ehemals sowjetischer Wissenschaftler durchgeführt. Gesteuert wird es vom Rat für Wissenschaftliche Forschung in Damaskus. Mehrere Programmteile befinden sich in Aleppo. Einige Labore sind an zivile pharmazeutische Firmen angegliedert, andere sind Teil von Produktionsstätten für chemische Waffen.

Die Einsatzdoktrin für Syriens biologische Waffen ergibt sich aus dem militärischen Umfeld, das heißt aus Annahmen über künftige Kriegsverläufe in der Auseinandersetzung mit Israel. Danach wäre der Einsatz hochwirksamer Pathogene denkbar, gegen die Syrien seine eigenen Truppen mit Gegenmitteln schützen könnte, denkbar.

Die gegenwärtig begrenzten Erkenntnisse sprechen jedoch dafür, dass im Zentrum syrischer Überlegungen die Option steht, Israels Soldaten durch den Einsatz nicht-tödlicher Erreger physisch zu schwächen. Darüber hinaus sind Terrorangriffe gegen Israels Zivilbevölkerung, wie zum Beispiel die Vergiftung des Trinkwassers, möglich; Syrien verfügt über Pathogene, die durch die meisten Filtersysteme nicht aufgehalten werden können.

Versuche an Häftlingen

Einige der potenziellen biologischen Einsatzmittel hat Syrien bereits getestet, obwohl durch die Mitarbeit ehemals sowjetischer und iranischer Wissenschaftler genügend Erkenntnisse über das Verhalten einzelner Pathogene nach ihrer Freisetzung vorliegen.

Jill Dekker weist außerdem darauf hin, dass Tests syrischer biologischer Waffen in Zusammenarbeit mit der Regierung des Sudan stattgefunden haben. Makaber, aber nicht überraschend ist die von ihr angedeutete Erkenntnis über Versuche an Gefangenen; übrigens gab es in der Geschichte der biologischen Waffenentwicklung immer wieder Versuche an Häftlingen, seien es Kriminelle oder im Kriegsgefangene.

Natürlich hat Syrien die 1972 geschaffene Konvention zum Verbot der Entwicklung, Produktion, Lagerung und des Erwerbs von biologischen Waffen unterschrieben, genau wie 168 andere Staaten. Doch diese Konvention ist faktisch wertlos. Zum einen enthält sie kein Kontrollregime, zum anderen verbietet sie zwar die Forschung und Entwicklung „offensiver“ Pathogene, erlaubt aber die Arbeit mit und an biologischem Material zu „defensiven“ Zwecken.

Da man Gegenmittel nur entwickeln kann, wenn die Aggressorsubstanz bekannt ist, berufen sich 10 bis 15 Staaten auf diesen durchaus logischen Zusammenhang, um ihre offensiven Entwicklungen zu begründen. So auch Syrien, das sich immer wieder öffentlich und offiziell darauf festlegte, seine „biologischen Aktivitäten“ dienten ausschließlich „friedlichen Zwecken“. Selbstverständlich nahm auch die Sowjetunion diese Argumentation in Anspruch.

UdSSR – biologische Supermacht

Und so kam es, dass Moskau fast gleichzeitig mit dem Inkrafttreten der Konvention ein gigantisches biologisches Waffenprogramm begann, dass die UdSSR in wenigen Jahren „zur größten und einzigen biologischen Supermacht der Welt“ werden ließ, so der 1992 in die USA geflohene Vize-Chef von BIOPREPARAT, Ken Alibek.

Nun könnte man Letzteres unter der Rubrik „Kriegsgeschichte“ abbuchen, nachdem russische Regierungen mehrfach die völlige Vernichtung ihres biologischen Waffenprogramms angekündigt und den Vollzug bestätigt haben.

Doch davon kann nach Erkenntnissen aller Geheimdienste und aller einschlägigen Experten keine Rede sein. In Russland schlummert auch diesbezüglich noch manche Überraschung. Das allerdings ist eine andere Geschichte.

Doch Ken Alibek übermittelt noch eine weitere, wenig erfreuliche Beurteilung der Lage, die den Bogen schlägt zum syrischen Potenzial an biologischen Waffen. Alibek geht davon aus, dass über kurz oder lang in der Sowjetunion entwickelte Biokampfstoffe „zu unberechenbaren Regimen und terroristischen Gruppen durchsickern“ werden. „Bio-Kampfstoffe“, so Alibek weiter, „sind nicht mehr nur Sache der Supermächte des kalten Krieges. Sie sind billig, leicht herzustellen und noch leichter einzusetzen.“

Auch al-Qaida mischte mit

Die unmittelbare Gefahr, die von Syriens biologischen Waffen ausgeht, liegt daher weniger im Risiko eines Einsatzes durch die Staatsführung als vielmehr in der Möglichkeit, dass diese Waffen in die falschen Hände fallen könnten.

Al-Qaida hat nachweislich bereits seit Mitte der 90er-Jahre ein biologisches Waffenprogramm mit dem Schwerpunkt Milzbrand. Mit nur fünf Kilo des sowjetischen Anthrax 836 aber wäre man in der Lage, die Hälfte aller Menschen zu infizieren, die auf einem Quadratkilometer leben.

Darum gilt es, nicht nur Syriens chemische sondern auch seine biologischen Kampfstoffe vor nichtautorisiertem Zugriff zu sichern.

Der Autor: Hans Rühle ist Experte für Atomtechnologie. Von 1982 bis 1988 war er Leiter des Planungsstabes im Bundesverteidigungsministerium.

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