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27. Januar 2012

Bundestag beschließt einstimmig Rechtsterror-Ausschuss

Von Joachim Peter, dapd. In seltener Eintracht haben die Fraktionen im Bundestag die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Rechtsterrorismus beschlossen. Die Abgeordneten votierten am 26.1.2012 einstimmig für einen zuvor gemeinsam formulierten Antrag. Es ist der 39. Untersuchungsausschuss in der Geschichte des Bundestages. Auch in Thüringen beschloss der Landtag die Einsetzung eines solchen Ausschusses zu diesem Thema.
Das parlamentarische Gremium soll die Hintergründe der sogenannten Zwickauer Terrorzelle sowie mögliche Versäumnisse der Sicherheitsbehörden aufklären. Dem Terroristentrio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt werden zahlreiche Morde an Ausländern bundesweit zur Last gelegt. Mehr als ein Jahrzehnt lang konnten sie ihre Straftaten unerkannt verüben. Die beiden Männer sind tot, Zschäpe sitzt seit geraumer Zeit in Untersuchungshaft.

Zusätzliche Bund-Länder-Expertenkommission

Auch eine Bund-Länder-Expertenkommission soll eingesetzt werden. Ein Sonderermittler wird die Arbeit des Bundestagsausschusses unterstützen, dem 11 Abgeordnete angehören werden. Die Union stellt vier Mitglieder, die SPD drei, die FDP 2, Grüne und Linke jeweils ein Mitglied. Die beiden kleinen Oppositionsparteien scheiterten mit dem Vorhaben, den Proporz zu ändern, um mehr Einfluss im Ausschuss ausüben zu können.

Altmaier kritisiert Linke scharf

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Peter Altmaier, würdigte in der Plenardebatte, dass sich alle Faktionen auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt hätten. Man solle sich nun nicht „zerstreiten über einzelne prozeduale Fragen“, sagte Altmaier. Für seine Fraktion kündigte er eine „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ an.

Altmaier warf allerdings der Linkspartei vor, sie habe sich in ihrer 20-jährigen Zugehörigkeit zum Bundestag nicht von „antisemitischen, antieuropäischen und antiamerikanischen Tendenzen“ distanziert. Vor wenigen Tagen war bekannt geworden, dass Bundestagsabgeordnete der Linken vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, bezeichnete es als einen „deprimierenden Befund“, dass die Sicherheitsbehörden die Mordserie der Zwickauer Terrorzelle nicht verhindern konnten – „obwohl es möglich gewesen wäre“. Er kritisierte, es habe „eine ganze Kette“ von Fehlern und Nachlässigkeiten gegeben. Dies habe es den Terroristen leicht gemacht, die Verbrechen zu begehen. Oppermann forderte, der Ausschuss müsse Vorschläge unterbreiten, damit sich solche Vorgänge nicht wiederholen könnten.

FDP-Innenexperte Hartfrid Wolff bekräftigte, die Bürger hätten einen Anspruch auf Aufklärung. Man müsse nun Fragen stellen wie: „Wer wusste was? Wer hat für den Dilettantismus der Sicherheitsbehörden die Verantwortung? Wie können wir den braunen Sumpf trocken legen?“

Wachsende Gewaltbereitschaft der Rechten

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) sagte, der Bundestag schulde den Opfern und deren Angehörigen eine „vorbehaltlose Aufklärung“.

Wie die Linken kritisierten auch die Grünen den Proporz des Ausschusses. So fragte Volker Beck, der Parlamentarische Geschäftsführer, in die Reihen der Abgeordneten von Union, SPD und FDP hinein: „Warum fürchtet jemand das gemeinsame Beweisantragsrecht zweier kleiner Fraktionen?“ Grüne und Linkspartei können nach dem nun beschlossenen Schlüssel keine Beweisanträge aus eigener Kraft einbringen. Dennoch stimmten die Grünen im Bundestag für die Einsetzung des Gremiums.

Mit Blick auf die Ereignisse der Zwickauer Terrorzelle und vermeintliche Ermittlungspannen kritisierte auch Beck die deutschen Sicherheitsbehörden scharf. „Das ist eine Tragödie, die nicht wieder gut zu machen ist.“ Das Vertrauen in den Rechtsstaat sei „bei Teilen unserer Bevölkerung nachhaltig erschüttert worden“.

Der designierte Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy, betonte, wie alarmierend die Lage mit Blick auf das rechte Spektrum sei: Zum einen sei bei den Rechtsextremen eine Verjüngung der Akteure festzustellen, zum anderen wachse die Gewaltbereitschaft der Neonazis. Das Bundeskriminalamt suche derzeit per Haftbefehl 159 deutsche Rechtsextremisten. Edathy erinnerte daran, dass schon 2003 eine süddeutsche Neonazi-Kameradschaft Terroranschläge geplant hatte. „Die Beteiligen sind verurteilt worden wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung“, sagte Edathy. „Es ist also nicht so, dass es keine Vorläufer gegeben hat.“

Regierung und Parlament versprechen mehr Schlagkraft gegen Rechts

25.1.2012

Von Johann Tischewski für die dapd. Regierung und Parlament verstärken den Kampf gegen den Rechtsextremismus: Die Bundestagsfraktionen einigten sich am 24. Januar 2012 auf den Antrag für einen Untersuchungsausschuss. Er soll unter anderem prüfen, wie die Sicherheitsbehörden künftig effektiver gegen Rechts vorgehen können. Hintergrund ist die Mordserie der rechtsterroristischen Gruppierung „Nationalsozialistischer Untergrund“.

Die als Zwickauer Terrorzelle bekannt gewordene NSU wird für zahlreiche Morde an Kleinunternehmern türkischer und griechischer Herkunft sowie für den Mord an einer Polizistin in Heilbronn verantwortlich gemacht. Nahezu unbehelligt von den Sicherheitsbehörden lebte die Gruppe mehr als 13 Jahre im Untergrund.

Ziel des geplanten Untersuchungsausschusses soll deshalb vorrangig sein, Ermittlungspannen und Fehler im Sicherheitssystem des Bundes aufzudecken. Alle im Bundestag vertretenen Parteien einigten sich auf einen entsprechenden Auftrag für das parlamentarische Gremium, das am 26. Januar 2012 vom Bundestag eingesetzt werden soll.

Streit über Größe des Ausschusses

Auch über die Ausgestaltung des Ausschusses einigten sich die Fraktionen. Demnach soll das Gremium elf Mitglieder umfassen. Die Union stellt vier Abgeordnete, die SPD drei, die FDP zwei, Grüne und Linke jeweils einen Abgeordneten. Den Vorsitz soll der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy übernehmen.

Federführend bei der Union soll der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger sein. Der Bundestagsabgeordnete Stephan Stracke vertritt die CSU-Landesgruppe im NSU-Untersuchungsausschuss. Stracke ist auch stellvertretender Ausschussvorsitzender. Für die Linke soll Petra Pau in dem Gremium sitzen. Die Abgeordnete Eva Högl soll Sprecherin der SPD im Ausschuss werden.

Die Linke bringt laut ihrer parlamentarischen Geschäftsführerin Dagmar Enkelmann zu der Abstimmung am 26.1. einen Änderungsantrag ein, um den Untersuchungsausschuss auf acht Mitglieder zu verkleinern. Dann hätten Linke und Grüne zusammen ausreichend viele Stimmen, um einen Beweisantrag zu beschließen. Auch die Grünen wollen einen Änderungsantrag einbringen.

Zeitung: Edathy fordert Länder zur Zusammenarbeit auf

Der designierte Vorsitzende des Ausschusses, Sebastian Edathy, drängt die Länder zur Unterstützung der Arbeit des Gremiums. „Wir setzen auf Kooperation und nicht Konfrontation“, sagte Edathy der Saarbrücker Zeitung. Dem Ausschuss gehe es nicht um Schuldzuweisungen. Bei der Aufklärung der Morde der Zwickauer Terrorzelle gebe es ein gemeinsames Interesse, Fehler zu analysieren.

Edathy betonte, die Rechtslage sei eindeutig. „Wenn wir unter Bezug auf die Beziehungen von Bund und Ländern Zeugen oder Akten anfordern, dann ist dem Rechnung zu tragen“, sagte er.

Dagegen hatte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann einem Zeitungsbericht zufolge argumentiert, eine Übermittlung von Akten an den Bundestag sei nicht möglich, weil die Exekutive in den Ländern nur von den Landesparlamenten kontrolliert werden dürfe.

Info-Zentrum soll Kräfte gegen Rechts bündeln

Mit einem Informations- und Kompetenzzentrum will Familienministerin Kristina Schröder indes die Kräfte gegen Rechtsextremismus bündeln. Im Kampf gegen Rechts gebe es kein Kompetenzdefizit, aber einen Mangel an Transfer von Wissen, das in einzelnen Projekten gewonnen worden sei, sagte Schröder nach einem „Spitzentreffen gegen Rechtsextremismus“. Für den Aufbau des Zentrums stehen zwei Millionen Euro bereit.

Zusammen mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hatte Schröder Vertreter von Verbänden und Religionsgemeinschaften zu einem runden Tisch gegen Rechts eingeladen. Die Familienministerin forderte zugleich die gesamte Gesellschaft auf, rechtsextremen Umtrieben zu begegnen. „Wir müssen Angriffe auf Minderheiten stärker auch als Angriffe auf uns alle begreifen“, sagte Schröder.

Friedrich bezeichnete das Spitzentreffen als Signal der Unterstützung all jener, die sich im Kampf gegen diese menschenverachtende Ideologie engagierten. „Es darf kein Raum sein in diesem Land, in dieser Gesellschaft, für Rechtsextremismus. Es darf nicht sein, dass Menschen Angst haben vor Gewalttätigkeit von Extremisten“, sagte der CSU-Politiker.

Zentralrat der Muslime begrüßt Informationszentrum

Für den Zentralrat der Muslime ist das geplante Informations- und Kompetenzzentrum gegen Rechtsextremismus ein Schritt in die richtige Richtung. „Das ist ein Anfang und da muss jetzt was folgen“, forderte der Vorsitzende des Zentralrats, Aiman Mazyek.

Verhaltener reagierte die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane. Viel wichtiger als das angekündigte Zentrum sei die Stärkung und Unterstützung zivilgesellschaftlichen Engagements, sagte Kahane. „Eine weitere Bundeseinrichtung kann nicht die erfolgreiche Arbeit der zahlreichen zivilgesellschaftlichen Initiativen ersetzen“, sagte die Rechtsextremismusexpertin.

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