Religion
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29. April 2011
„Keine Kür, sondern Pflicht“
Die Auseinandersetzung mit dem Judentum ist für Christen keine Kür, sondern Pflicht. Das hat der neue Präsident des „Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit“, Prof. Martin Jäggle, betont. Im Interview mit der Katholischen Presseagentur Österreich sagte Jäggle, der christlich-jüdische Dialog sei „unverzichtbar“. Einerseits, weil sich das Christentum stets seiner Grundlegung im Judentum neu vergewissern müsse, andererseits „wegen der so belasteten Geschichte der Christen gegenüber dem jüdischen Volk“.
Gemeinsame Aufgabe von Christen und Juden sei es, „Zeugnis von dem einen Gott zu geben“, sagte Jäggle. Das gehe nur auf Basis des Dialogs. Dialog heißt demnach für Jäggle vor allem auch, „einander bei der Erforschung der Wahrheit zu Hilfe zu kommen“. Der Religionspädagoge und Dekan der Wiener Katholisch-Theologischen Fakultät verwies in diesem Zusammenhang auch auf das Konzilsdokument „Dignitatis humanae“ über die Religionsfreiheit. Kardinal Franz König habe einmal gesagt, „dass es keine neue Offenbarung geben wird, wir aber vielleicht in 100 Jahren die Offenbarung anders verstehen werden“.
Für Professor Jäggle ist die Arbeit an den „12 Thesen von Berlin“ des „Internationalen Rats der Christen und Juden“ aus dem Jahr 2009 ein zentrales Zukunftsthema: „Sie richten sich gleichermaßen an christliche wie jüdische Gemeinschaften. Wir wollen beide Seiten dafür gewinnen, sich zu positionieren und ihr Perspektiven für nächste Schritte zu formulieren.“
In den Berliner Thesen werden die Christen dazu aufgerufen, religiöse, rassistische und alle anderen Formen von Antisemitismus zu bekämpfen, den internationalen Dialog mit Juden zu fördern und ein theologisches Verständnis des Judentums zu entwickeln, das dessen eigenständige Integrität bekräftigt. Das bedeutet u. a., alle Lehren auszuschließen, denen zufolge die Christen die Juden als ein Volk im Bundesverhältnis mit Gott abgelöst haben. Auch organisierten Bemühungen zur Bekehrung von Juden müsse entgegengetreten werden.
Die Juden werden in den Thesen aufgefordert, die Bemühungen vieler christlichen Gemeinden in jüngster Zeit anzuerkennen, ihre Einstellung gegenüber dem Judentum zu reformieren. Jüdische Texte und Liturgie sollten im Licht dieser christlichen Reformen neu überdacht werden. Außerdem müsse zwischen fairer Kritik an Israel und Antisemitismus unterschieden werden. Jäggle: „Konstruktive Kritik ist demokratiepolitisch notwendig. An Israel dürfen nicht andere Standards als an andere Staaten angelegt werden.“
Wie es in den Berliner Thesen weiter heißt, sei es auch Aufgabe der Juden, den Staat Israel darin zu ermutigen, die in seinen Gründungsdokumenten formulierten Ideale zu verwirklichen. Diese Forderung beinhalte auch eine gerechte und friedvolle Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Weiters müsste allen religiösen oder ethnischen Minderheiten einschließlich der Christen, die innerhalb des jüdischen Staates leben, gleiche Rechte garantiert werden.
Christen und Juden gemeinsam werden schließlich in den Berliner Thesen dazu aufgerufen, interreligiöse und interkulturelle Erziehung und Zusammenarbeit zu fördern und auch die gemeinsame Verantwortung für die Schöpfung wahrzunehmen.
Karfreitagsfürbitte und Papst-Buch
Angesprochen auf die 2008 eingeführten Karfreitagsfürbitte im „außerordentlichen Ritus“, in der es heißt, Gott möge die Herzen der Juden „erleuchten, damit sie Jesus Christus erkennen“, meinte Jäggle, dass die Aufregung und Irritationen kurzfristig zwar sehr groß gewesen seien, „die faktische Bedeutung hingegen sehr gering“. Er verwies auf die Interpretation des damaligen vatikanischen „Ökumene-Ministers“ Kardinal Walter Kasper, wonach auch die neue Fürbitte das Heil für Israel nicht auf Grund von Judenmission, sondern am Ende der Zeiten erwarte, wenn alle Völker ins Heil eingetreten seien.
Von wesentlich größerer Bedeutung für die Beziehungen zwischen Christentum und Judentum sei da schon das jüngste Jesus-Buch von Papst Benedikt XVI., das von jüdischer Seite sehr gelobt worden sei, so Jäggle. In seinem Buch „Jesus von Nazareth“ (Band 2), weist Benedikt XVI. u. a. alle pauschalen Behauptungen zurück, die Juden seien verantwortlich für die Kreuzigung Jesu. Zugleich spricht sich der Papst auch gegen eine Judenmission aus. Er zitiert zustimmend die Theologin Hildegard Brem mit den Worten: „Die Kirche muss sich nicht um die Bekehrung der Juden bemühen, da der von Gott dafür festgesetzte Zeitpunkt (…) abgewartet werden muss“.
Traditionelle Begegnungsplattform
Jäggle hob im „Kathpress“-Gespräch hervor, dass im Koordinierungsausschuss großer gegenseiger Respekt und viel Vertrauen vorhanden sei. Auf dieser Basis könne man auch Konflikte austragen. Dass sich die Beziehungen zwischen den Kirchen und dem Judentum trotz aller Probleme gut entwickeln, wollte Jäggle auch am jüngsten Besuch einer Delegation des Ökumenischen Rates der Kirchen beim jüdischen Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg festmachen. Ein solcher Besuch sei vor zehn oder 15 Jahren wohl noch nicht möglich gewesen, so Jäggle.
Der Besuch fand am 17. Jänner 2011, anlässlich des „Tages des Judentums“ statt, bei dem sich alle christlichen Kirchen auf ihre Verwurzelung im Judentum besinnen. Der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) hat den 17. Jänner als Gedenktag im Jahr 2000 den „eingeführt. Jäggle bezeichnete den Tag des Judentums als eine „herausragende Initiative“.
Für die Vertiefung der gesellschaftlichen Verwurzelung des christlich-jüdischen Dialogs werde der Koordinierungsausschuss eines Beirat einrichten, kündigte Jäggle an. Diesem sollen angesehen bekannte Persönlichkeiten angehören, denen der Dialog ein Anliegen ist. Namen wollte Jäggle noch keine nennen.
Der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit existiert seit mehr als 50 Jahren als Gesprächs-, Begegnungs- und Bildungsplattform. Im Vorstand des „Koordinierungsausschusses“ sind christliche und jüdische Mitglieder auch formal gleichberechtigt vertreten. (Infos: www.christenundjuden.org)
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Lesung und Gespräch mit Michel Bergmann
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»Das schlechte Gewissen ist eine jüdische Erfindung« heißt es, und auch Michel Bergmann, 1945 als Kind internierter jüdischer Flüchtlinge in Riehen bei Basel geboren, scheint es in die Wiege gelegt im Umgang mit seiner Mutter. Mit Humor erzählt der Drehbuchautor, Filmemacher und Schriftsteller nicht nur vom Verhältnis zu seiner Mame, sondern berichtet auch über ihr Schicksal als Jüdin in Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Ein fremdbestimmtes Leben, das alles andere als leicht war und zugleich ein Stück europäische Zeitgeschichte widerspiegelt. Weiterlesen »

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