Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern

Kultur

« Zurück

13. Juni 2011

„Früh gelernt, zu kämpfen“ – Interview mit Vidal Sassoon

Starfriseur Vidal Sassoon hat eine steile Karriere hingelegt: vom armen Halbwaisen aus dem Londoner East End zum berühmtesten Friseur der Welt. Im Interview mit Welt-Autorin Tina Kaiser sprach der 83-Jährige über Mut und Erfolg. Er sei überzeugt, sagte er, dass Mut und fester Wille die Schlüssel zu Erfolg seien. „Ich habe früh gelernt zu kämpfen“, erzählt Sassoon. „Meine Mutter war so arm, dass sie mich mit fünf Jahren in ein jüdisches Waisenhaus geben musste. Das waren harte Zeiten damals, wir haben gehungert, und ich war oft sehr einsam.“ Welt Online: Haben Sie Ihrer Mutter verziehen?
Vidal Sassoon: Natürlich, sie hatte ja keine andere Wahl. Bis sie 1997 verstarb, hatte ich ein sehr enges Verhältnis zu ihr. Meine Mutter war es auch, der ich meine Karriere zu verdanken habe. Sie hatte diese fixe Idee, dass ich ein Starfriseur werden würde, und hat mich zu einer Ausbildung als Friseur gezwungen.

Ich habe das Friseurhandwerk wie eine Wissenschaft gesehen

Welt Online: Ach, gegen den Willen Ihrer Mutter konnten Sie sich nicht durchsetzen?
Vidal Sassoon: Hätten Sie meine Mutter gekannt, würden Sie diese Frage nicht stellen (lacht). Ich war 14 Jahre, als sie mich in diesen Friseursalon im East End geschleift hat. Der Besitzer sagte: „Die Ausbildung kostet hundert Goldmünzen.“ Meine Mutter darauf: „Mister, ich hab noch nicht mal hundert Knöpfe“ – und marschierte raus. Ich war schon dabei, mich zu freuen. Dummerweise hab ich meine Mütze vom Kopf genommen, um mich zu verabschieden. Da rief der Meister uns zurück. „Du scheinst gute Manieren zu haben, Junge. Am Montag fängst du an, und vergessen Sie das Geld.“ Tja, damit war mein Schicksal besiegelt.

Welt Online: Sie haben es gehasst?
Vidal Sassoon: Am Anfang schon, aber dann habe ich all die hübschen Frauen gesehen und gedacht: Hm, das ist gar nicht so übel. Der eigentliche Spaß fing erst an, als ich 1954 meinen ersten eigenen Salon in Mayfair eröffnete. Damals hab ich mir geschworen: Wenn ich schon Friseur sein muss, dann will ich alles anders machen.

Welt Online: Mit Ihren berühmten geometrischen Frisuren haben Sie eine Revolution losgetreten. War Ihnen das damals bewusst?
Vidal Sassoon: Natürlich, das war ja mein Plan. Sie müssen wissen, damals gingen nur die reichen Ladys zum Friseur. Sie ließen sich Haarspraytürme bauen, aber nach einmal Waschen war die Frisur hinüber, und sie mussten wieder zum Friseur. Ich habe das Friseurhandwerk wie eine Wissenschaft gesehen. Jeder Schnitt muss individuell sein und sich an der Form des Gesichts und der Wangenknochen orientieren. Wie die Bauhaus-Architektur: Die Form folgt der Funktion. Wenn Sie das richtig hinbekommen, fällt das Haar wochenlang perfekt. So konnten sich endlich auch Normalverdiener einen guten Friseur leisten.

Welt Online: Ihre Kurzhaarschnitte waren nicht nur praktisch, sondern auch ziemlich radikal. Wie haben Männer reagiert?
Vidal Sassoon: (lacht) Die mussten sich erst an die harten Linien gewöhnten. Der Duke of Bedford hat mich mal gefragt, wieso ich seiner Ehefrau eine Lesbenfrisur verpasst habe. Aber die Frauen haben es geliebt. Es sprach sich schnell rum: „Da ist dieser Typ in Mayfair, der einem die Haare so schneidet, wie er will.“

Welt Online: Sie haben sich geweigert, die Wünsche Ihrer Kundinnen zu erfüllen?
Vidal Sassoon: Klar, das musste ich, um mir einen Ruf zu erarbeiten. Das gab anfangs viel Ärger. Wütende Damen stampften aus dem Laden, weil ich mich weigerte, ihnen eine blöde Fönfrisur zu machen.

Ich habe 1948 im Krieg gekämpft – da bekomme ich doch keine Angst, weil ich ein paar Haare abschneide

Welt Online: Ein Friseurbesuch kann traumatisch sein. Bei Ihnen sind sicher Frauen heulend aus dem Salon gerannt.
Vidal Sassoon: Natürlich. Die bekannteste war vermutlich die Schauspielerin Georgia Brown. Vor der Premiere des Musicals „Oliver!“ kam sie zu mir. Ich schnitt ihr die Haare ziemlich kurz, und sie schrie: „Du hast meine Karriere ruiniert.“ Am nächsten Tag rief sie an und entschuldigte sich. Sie hatte den ganzen Abend Komplimente für ihre Frisur bekommen.

Welt Online: Ihren Durchbruch hatten Sie 1960, als Sie Nancy Kwan einen kurzen Bob für ihren Film „Die Welt der Suzie Wong“ schnitten.
Vidal Sassoon: Stimmt, das war ein großes Glück. Nancy hatte atemberaubende, hüftlange Haare, aber für den Film sollte sie einen Kurzhaarschnitt tragen. Also fing ich an zu schneiden. Sie guckte kein einziges Mal in den Spiegel, sondern hat mit ihrem Manager Schach gespielt. Im Nacken schnitt ich ihr Haar kurz, nach vorn umrundete es länger ihr wunderschönes Gesicht. Als ich fertig war, schüttelte sie ihre Haare und strahlte. Wir haben noch am gleichen Abend Fotos gemacht, die weltweit auf den Titelbildern der „Vogue“ landeten. Noch irrer wurde der Rummel dann, als Roman Polanski mich anrief.

Welt Online: Angeblich bot er Ihnen 5.000 Dollar und zwei Tickets nach Los Angeles, um die Frisur von Mia Farrow zu retten. Sie hatte sich nach einem Streit mir ihrem damaligen Ehemann Frank Sinatra die Haare abgeschnitten.
Vidal Sassoon: (grinst) Als Friseur habe ich eine Schweigepflicht und kann zu Sinatra nichts sagen. Der Rest stimmt. Ihre Haare waren komplett ruiniert, und ich habe gesagt: „Da hilft nur noch ein totaler Kurzhaarschnitt.“ Roman und Mia drehten gerade „Rosemary’s Baby“. Im Film kommt Mia in einer Szene plötzlich mit den kurzen Haaren durch die Tür und sagt: „Das ist Vidal Sassoon.“ Ihr Ehemann antwortet: „Dafür wirst du ja hoffentlich nicht bezahlt haben.“ Hervorragende PR.

Welt Online: Die Frisur war der kürzeste Bob bei einer Frau, den die Welt je gesehen hatte. Hatten Sie keine Angst, dass Farrow die Frisur hassen könnte?
Vidal Sassoon: Ich habe 1948 im israelischen Unabhängigkeitskrieg gekämpft. Da werde ich doch keine Angst bekommen, weil ich ein paar Haare abschneide.

Meine Mutter war eine überzeugte Zionistin

Welt Online: Hat der Krieg Ihnen Angst gemacht?
Vidal Sassoon: Nein, das war das aufregendste Jahr meines Lebens. Dass ich in den Krieg ziehe, war übrigens auch der Wunsch meiner Mutter. Sie war eine überzeugte Zionistin. Und ich stimme ihr zu: Nach den schrecklichen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs brauchten wir Juden ein Stück Erde, das uns im Notfall Schutz bietet.

Welt Online: Haben Sie Menschen getötet?
Vidal Sassoon: Ich hasse den Gedanken, unschuldige Soldaten erschossen zu haben, die vielleicht nicht freiwillig gegen uns gekämpft haben. Ich weiß nicht, ob meine Kugeln jemanden getötet haben. Meine Truppe hatte die Aufgabe, einen strategisch wichtigen Hügel vor Tel Aviv zu verteidigen. Die Ägypter schickten immer wieder neue Truppen von jungen Soldaten auf den Hügel, aber wir stoppten sie. Sonst wäre der Krieg vielleicht anders ausgegangen.

Welt Online: Wieso sind Sie nicht in Israel geblieben?
Vidal Sassoon: Dreimal dürfen Sie raten. Wegen meiner Mutter. Sie hatte inzwischen wieder geheiratet und schickte ein Telegram: „Stiefvater hat einen Herzanfall, komm zurück und verdien Geld.“ Das tat ich.

Welt Online: Ihre Mutter war offenbar sehr streng. Haben Sie diese Strenge an Ihre Mitarbeiter weitergegeben?
Vidal Sassoon: Absolut, ich bin schon ein ziemlicher Kontrollfreak. Blank polierte Schuhe und dreiteilige Anzüge waren Pflicht. Wenn du ein Image kreieren willst, musst du dieses Image leben. Alles muss perfekt sein. Nicht wirklich durchsetzen konnte ich mich allerdings mit einer anderen Regel: Schlaft nicht mit den verheirateten Kundinnen. (lacht) Einer meiner Mitarbeiter, ein Italiener, sagte mit seinem wunderbaren Akzent: „Wo ist das Problem? Die denken doch eh alle, wir sind schwul.“

Welt Online: Es waren die wilden 60er. Sie haben sich ja vermutlich auch nicht an die Regel gehalten.
Vidal Sassoon: Seien wir ehrlich, Penizillin kurierte damals alles, was man sich einfangen konnte. Aids gab es noch nicht. Die Leute waren sexuell freizügig. Wenn sich zwei Blicke auf der Straße trafen, und man mochte sich, landete man im Bett. In diesen Tagen war Sex so alltäglich wie Abendessen. Wir nannten es die Ära der goldenen Pussy.

Welt Online: Vermissen Sie diese Zeiten?
Vidal Sassoon: Meine Güte, ich bin 83. Das wäre mir heute doch zu anstrengend. Aber damals war es toll. Wollen Sie eine lustige Geschichte hören?

Welt Online: Sie haben 83 Jahre Leben hinter sich. Was macht Ihnen heute Angst?
Vidal Sassoon: Ehrlich: nichts.

Welt Online: Nicht mal der Tod?
Vidal Sassoon: Ach, wissen Sie, im vergangenen Jahr lag ich über Wochen mit einer schweren Lungenentzündung im Krankenhaus. Die Ärzte sagten, die Sache sei ernst. Eines Nachts wachte ich auf und lächelte. Ich dachte damals: „Hey, ich habe 82 großartige Jahre gelebt. Wenn ich jetzt abtreten muss, ist das kein übler Zeitpunkt.“ Na ja, aber wie Sie sehen, stehe ich ja noch hier.

Alle Beiträge der Kategorie Kultur ansehen »

VeranstaltungenÜberblick »

Aktuelle Veranstaltungen


Di. 07.05.2024 | 29. Nissan 5784

Kultur

„Aus der Ferne wirkt alles wie ein Wunder“: Jehuda Amichai (1924-2000) zum 100. Geburtstag

Beginn 19:00

Würdigung
Dienstag, 7. Mai 2024, 19 Uhr

Ein Abend mit Efrat Gal-Ed und Thomas Sparr
Moderation: Ellen Presser

»Ich bin ein Knoten, nicht zu lösen / gleich dem, den man ins Taschentuch knüpft, zur Erinnerung / an etwas. Ich weiß nicht, woran ich erinnern soll und wen, / damit er’s nicht vergisst.«
Jehuda Amichais Gedichte erinnern an die Universalität menschlicher Erfahrungen, ohne dabei ihren Ursprung – Amichais Auseinandersetzung mit der eigenen jüdischen Identität – zu überschreiben. Verfasst in einem Hebräisch der Alltagssprache, sind seine Gedichte verortet im individuellen sowie kollektiven Zeitgeschehen:

»Die Geschichte der Juden und die Geschichte der Welt / zerreiben mich zwischen sich […] Offen Verschlossen Offen. Das ist der ganze Mensch.« Weiterlesen »

Mi. 08.05.2024 | 30. Nissan 5784

Nachrichten

Unter Druck: Wie schützen wir Europas Demokratie?

Beginn 19:30

Podiumsgespräch
Mittwoch, 8. Mai 2024, 19:30 Uhr
Hubert-Burda-Saal im Jüdischen Gemeindezentrum

Es diskutieren:

  • Wolfgang Bücherl
    Leiter der Regionalvertretung der Europäischen Kommission in München
  • Dr. h.c. mult. Charlotte Knobloch
    Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern
  • Dr. Sergey Lagodinsky
    Mitglied des Europäischen Parlaments für BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN
    und
  • Prof. Dr. Ursula Münch
    Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing

Moderation: Richard Volkmann (Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern) Weiterlesen »

Alle Veranstaltungen »

Israelitische Kultusgemeinde
Kontakt
Israelitische Kultusgemeinde
München und Oberbayern K.d.ö.R.
St.-Jakobs-Platz 18
80331 München
Tel: +49 (0)89 20 24 00 -100
Fax: +49 (0)89 20 24 00 -170
E-Mail: empfang@ikg-m.de