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22. September 2016

Botschafterin des Miteinanders

Charlotte Knobloch erhält als erste Frau und Jüdin den Eugen-Biser-Preis. Von Helmut Reister, erschienen in der Jüdischen Allgemeinen vom 22.9.2016. Bei einem Festakt in der Allerheiligen-Hofkirche ist IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch in Anwesenheit zahlreicher hochrangiger Vertreter aus Politik, Justiz, Polizei, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur mit dem Eugen-Biser-Preis ausgezeichnet worden. Alle Redner, darunter auch Ministerpräsident Horst Seehofer, bekundeten gegenüber der bekanntesten Repräsentantin der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland uneingeschränkte Wertschätzung und Respekt.

Charlotte Knobloch (2.v.l.) beim Festakt mit Bundestagspräsident Lammert (l.) und CSU-Politiker Beckstein in der Allerheiligen-Hofkirche. © Stefan Obermeier

 

In der Begründung für die Preisverleihung an IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch heißt es, dass mit dem Eugen-Biser-Preis herausragende Persönlichkeiten geehrt werden, die sich für Ideale eingesetzt haben, für die auch der katholische Theologe, Religionsphilosoph und Priester Eugen Biser (1918–2014) stets eingetreten sei. Zentrale Grundwerte seien für ihn die Freiheit des Individuums gewesen, der Respekt vor der Menschenwürde, gesellschaftliches Zusammenleben in dialogischer Toleranz sowie die friedensfördernde Bedeutung der Religionen in der Gegenwart.

Demokratie

Dass Charlotte Knobloch genau diese Kriterien erfülle, darüber war sich nicht nur der Stiftungsrat einig, diese Einschätzung zog sich auch wie ein roter Faden durch die Festveranstaltung in der Hofkirche. Der Ehrenpräsident der Stiftung, Richard Heinzmann, sagte anlässlich der Preisverleihung direkt an die IKG-Präsidentin gewandt: »Ihr herausragendes Lebenswerk liegt nicht so sehr auf dem Feld des theoretischen Dialogs als vielmehr im Dialog der Tat, des gesellschaftlichen, politischen und religiösen Handelns.«

Mit Blick auf Ihr Leben wird man an das Wort von Hermann Cohen, dem bedeutenden jüdischen Philosophen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, erinnert, wonach das Judentum ein ethischer Monotheismus sei. Aus dieser Wurzel haben Sie die Kraft geschöpft, mit nie erlahmender Energie einen Beitrag zu Frieden und Freiheit zu leisten, der hohe Bewunderung und uneingeschränkte Anerkennung verdient«, so Heinzmann weiter.

Ministerpräsident Horst Seehofer dankte in einer sehr persönlich gehaltenen Rede der Preisträgerin, »einer unverzichtbaren Ratgeberin«, für ihre Geradlinigkeit und ihren Mut, für eine wehrhafte Demokratie einzutreten. Der Laudator des Abends und Träger des Eugen-Biser-Preises 2012, Bundestagspräsident Norbert Lammert, stellte sich mit seiner Rede vehement jeglichem Antisemitismus in Deutschland entgegen. »Menschen, die nach Deutschland kommen, warum auch immer, die ein feindseliges Verhältnis zum jüdischen Glauben haben oder mit jüdischen Mitbürgern nicht zusammenleben können oder wollen, werden in Deutschland keine Heimat haben können«, so Lammert.

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm hielt als Grundsatz fest: »Antisemitismus und Rassismus haben in den Kirchen keinen Platz.« Mit ihm zollten auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter und die Islamwissenschaftlerin Armina Omerika der Preisträgerin ihren Respekt. Sie habe sich trotz ihrer Erfahrungen im Nationalsozialismus seit Jahrzehnten für Verständigung, Dialog und Versöhnung eingesetzt, so die Professorin für Ideengeschichte des Islam an der Goethe-Universität Frankfurt.

Vertrauen

Charlotte Knobloch, die die Auszeichnung angesichts der entgegengebrachten hohen Wertschätzung durch die Festredner sichtlich bewegt entgegennahm, betonte in ihrer Rede, dass die Verleihung des Preises nicht allein ihr gelte, sondern dem ganzen Land. Sie erinnerte daran, dass sie nach dem Untergang der Nazi-Herrschaft das Land der Täter verlassen wollte, doch es sei anders gekommen.

»Fest steht«, sagte sie, »dass ich neues Vertrauen fasste – und den Mut, Brücken über unüberwindbar scheinende Abgründe zu bauen und zu beschreiten. Heute danke ich Gott, dass ich daran mitarbeiten durfte, dem jüdischen Leben in Deutschland eine Perspektive und eine Heimat zu geben. So stehe ich vor Ihnen als Mensch, der unser Land, so wie es sich heute darstellt, mit all den Errungenschaften der freiheitlichen Demokratie, der Menschenrechte, des Rechts- und Sozialstaats liebt und der mit Ihnen gemeinsam für diese unsere Werte, für diese unsere Heimat kämpft.«

Knobloch sprach allerdings auch sehr deutlich den neu entflammten Antisemitismus in Deutschland an. »Vor nicht allzu langer Zeit«, beschrieb sie ihre Gefühlslage, »hatte ich noch gehofft, in meinem Leben nie wieder auf ein so hohes Maß an Unversöhnlichkeit stoßen zu müssen.« Die ganze Gesellschaft sei nun gefordert, damit sich diese Einstellung nicht zu unumkehrbar tief sitzendem Hass auswachse. Die IKG-Präsidentin zitierte in diesem Zusammenhang Eugen Biser mit einem Satz, der nichts an Aktualität verloren hat: »Wir leben in einer Stunde des Dialogs und überleben nur, wenn die wachsenden Konfrontationen durch eine Kultur der Verständigung überwunden werden.«

Dialog

Für sie selbst sei dies stets eine grundlegende Erkenntnis gewesen. »Hinter allem, was ich erreicht habe, liegt ein Weg der Verständigung, der Versöhnung, des Dialogs, des Miteinanders«, betonte Knobloch. Sie glaube aber auch nach wie vor, genau wie Biser, an die Kraft des Dialogs und an die Fähigkeit der Menschen, aufeinander zuzugehen.

Dazu seien viel Ehrlichkeit und Mut nötig, auch im Umgang mit rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien sowie dem internationalen Terrorismus. Antisemitische, antiliberale und antimoderne Ideologien aller Couleur, so die IKG-Präsidentin, dürften nie wieder eine Chance haben.

Eine kleine, aber bemerkenswerte Geste beim Festakt unterstrich, dass Charlotte Knobloch in ihrem Handeln und Wirken nie ihre persönlichen Interessen in den Vordergrund stellt. Die 5000 Euro Preisgeld stiftete sie spontan dem Aufbau eines neuen Zertifikatsstudiengangs für eine Theologie des interreligiösen Dialogs an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Der Studiengang war erst vor Kurzem gemeinsam von der Katholisch-Theologischen Fakultät und der Eugen-Biser-Stiftung initiiert worden.

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