Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern

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20. Juni 2013

Erinnerungen an den Rückkehrer

Die IKG München würdigte ihren früheren Vorsitzenden Hans Lamm sel. A.  Von Miryam GümbelMiryam Gümbel, erschienen in der Jüdischen Allgemeinen, 20.06.2013. Am 8. Juni wäre Hans Lamm sel. A. 100 Jahre alt geworden. Für die Israelitische Kultusgemeinde war das ein guter Grund, mit einer Gedenkveranstaltung an ihren früheren Präsidenten zu erinnern. Im Hubert-Burda-Saal wurde er so für rund zwei Stunden in den Gedanken und Herzen der Besucher wieder lebendig.

Gekommen waren mit zahlreichen Mitgliedern aus der IKG, ehemaligen Kollegen aus dem Vorstand und Persönlichkeiten aus Politik und Kultur viele Wegbegleiter von Hans Lamm. Seine Nachfolgerin im Präsidentenamt, Charlotte Knobloch, begrüßte seine engen Mitarbeiter, allen voran Ruth Steinführer, der von den Anwesenden ein besonders herzlicher Empfang bereitet wurde.

In Erinnerung an Hans Lamm trafen sich seine früheren Wegbegleiter aus der IKG am 8. Juni. © Marian Maisel

Mitmenschen

In der Einladung zur Gedenkstunde hatte die Organisatorin des Abends, Ellen Presser, aus Lamms Text Vom Ebenbild G’ttes (1970) zitiert: »Das Suchen und Finden des Mitmenschen darf keine einmalige und vereinzelte Feiertagstat sein, sondern umschließt auch das Wagnis, alle Wälle einzureißen, alle Wälle, die wir gegen Menschen anderer Religion, Nationalität oder Rasse aufgetürmt haben.«

Diese Haltung war etwas Besonderes und Prägendes bei einem Menschen, der sich nach der Schoa gründlich überlegt hatte, ob er nach München zurückkehren sollte. Charlotte Knobloch fasste dies in ihrer Begrüßung kurz zusammen: »Warum nur sollte jemand freiwillig in das sogenannte Land der Täter zurückkehren? Kaum jemand in meiner Generation oder in der meines Vaters, in dessen Leben diese Frage keine Rolle gespielt hätte. Und kaum jemand, der sie so eindeutig, entschlossen und nachhaltig für sich und sein Wirken beantwortet hat wie mein hoch verehrter und geschätzter Amtsvorgänger, Dr. Hans Lamm, seligen Angedenkens.«

Dann wurde eine Dokumentation über Hans Lamm gezeigt. Darin beantwortete er die Frage, warum er nach Deutschland zurückkam: »Als der Grund für mein Exil verschwunden war, war auch der Grund für mich verschwunden, im Exil zu bleiben.« Natürlich, so Lamm weiter, »hat der Krieg in meinem Freundes- und Bekanntenkreis Lücken und Wunden gerissen, die sich nicht mit dem Zuckerguss des Vergessens oder gar Vergebens« überdecken ließen. Auch deshalb kehrte er erst 1955 dauerhaft aus den USA nach Deutschland zurück.

Biografie

Über Lamms Leben sprach an diesem Abend auch Andrea Sinn. Die Historikerin, bis vor Kurzem Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte, hatte sich in ihrer Magisterarbeit 2006 Hans Lamm gewidmet. Die Studie ist 2008 im Oldenburg Verlag unter dem Titel Und ich lebe wieder an der Isar. Exil und Rückkehr des Münchner Juden Hans Lamm erschienen.

Während die Historikerin Sinn Lamm nur aus Erzählungen kannte, hat ihr Doktorvater Michael Brenner noch frühe Erinnerungen an ihn. Lamm hatte gelegentlich Brenners Eltern im oberpfälzischen Weiden besucht. »Seine Geschichten waren andere als die, die ich aus der kleinen jüdischen Gemeinde in Weiden kannte, wo praktisch jeder aus dem Kreise der DPs, der aus Polen stammenden osteuropäischen Schoa-Überlebenden, kam«, erinnerte sich Brenner. »Hans Lamm sprach mit einem dezidiert münchnerischen Akzent. Dass Juden seines Alters nicht mit jiddischem, sondern bayerischem Zungenschlag sprechen konnten, das war mir neu.«

Einige von Lamms Werken standen auch bei den Brenners im Bücherregal, die Lektüre war Motivation und Vorbild für den heutigen Professor Brenner: »Hans Lamm machte die deutsch-jüdische Geschichte wieder lebendig. Er war einer jener wenigen, die es verstanden, Brücken zwischen der deutsch-jüdischen Geschichte und Gegenwart zu bauen.«

Weggefährten

Zum Abschluss des Abends ließ dann Armand Presser in einem von ihm gemeinsam mit Maja Zylberszac gedrehten Film Weggefährten von Hans Lamm zu Wort kommen. Unter ihnen sind Hans-Jochen Vogel, damals noch Münchner Oberbürgermeister, Barbara Distel, frühere Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, und Richard Grimm, persönlicher Mitarbeiter Lamms an der Münchner Volkshochschule, der seine Idee eines jüdischen Museums später in einer Privatinitiative umsetzte. Weitere Beiträge steuerten auch Rachel Salamander, Helene Habermann und Christian Ude bei, der Lamm vor seiner Zeit als Oberbürgermeister noch als Mieteranwalt behilflich war.

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