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18. Mai 2017
Sie waren Helden
Wie die Kultusgemeinde München den Tag der Befreiung durch die Rote Armee beging. Von Helmut Reister, erschienen in der Jüdischen Allgemeinen, 18.5.2017. Ende von Schoa, Krieg und Nationalsozialismus: Wie tief der 9. Mai 1945 auch noch Jahrzehnte später jene Menschen berührt, die diesen Tag selbst erlebt haben, tritt bei den alljährlichen Gedenkfeierlichkeiten der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern immer sehr deutlich hervor.
Das war auch in diesem Jahr bei der Veteranenfeier im Gemeindezentrum und bei der Gedenkstunde auf dem Neuen Israelitischen Friedhof so.

IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch spricht bei der Gedenkstunde auf dem Neuen Israelitischen Friedhof. © Marina Maisel
Deutsch-jüdische Soldaten kämpften im Ersten Weltkrieg für ihr Land, ihre Heimat, weil es für sie eine selbstverständliche Pflichterfüllung war. Dann änderte sich alles. In den 20er-Jahren wurde der Antisemitismus immer stärker, ab 1933 wurden Juden in Deutschland erst systematisch entrechtet und verfolgt, dann schließlich ermordet. Warum der historisch so wichtige Tag der Kapitulation Deutschlands im Mai 1945 inzwischen auch zu einem ganz besonderen Gedenktag für die jüdische Gemeinde in München geworden ist, was indes nicht immer so war, erklärte IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch bei der nachdenklichen Zeremonie auf dem Friedhof.
Wahrnehmung
»Im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit«, erklärte sie, »waren Juden im Zweiten Weltkrieg ausschließlich Opfer – verfolgt, vertrieben, deportiert, gequält und ermordet.« Erst in den letzten Jahren habe sich auch die Erkenntnis durchgesetzt, so die IKG-Präsidentin, dass Juden nicht nur Opfer gewesen waren, sondern auch einen großen Beitrag geleistet haben, Europa von der mörderischen Geißel der Nazis und ihrer Schergen zu befreien. »Juden«, betonte Charlotte Knobloch, »haben als Soldaten in den Armeen der Alliierten gekämpft, als Partisanen in den Widerstandsbewegungen der überfallenen und besetzten Länder – und nicht zuletzt bei den Aufständen in den abgeriegelten Ghettos.«

IKG-Vizepräsident Ariel Kligman (l.) im Gespräch mit David Dushman, Veteran der Roten Armee. © Marina Maisel
Mit diesem besonderen Aspekt wurde die jüdische Gemeinde in München vor 25 Jahren direkt konfrontiert. Damals kamen mit den sogenannten Kontingentflüchtlingen die ersten jüdischen Veteranen, die in der Roten Armee ihr Leben im Kampf gegen Nazi-Deutschland riskiert hatten. Charlotte Knobloch erinnert sich daran, als wäre es gestern gewesen: »In ihrem Gepäck hatten sie die bewundernswerte Zuversicht, ausgerechnet im Land des einstigen Feindes eine neue Heimat zu finden. Und sie brachten die Erinnerungen mit, ihre Geschichten und die der alten Heimat. Dazu gehört für jede dieser Familien auch die furchtbare Zeit des erbarmungslosen Vernichtungskrieges, der am 22. Juni 1941 mit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion begann und erst mit der Kapitulation am 8. beziehungsweise 9. Mai 1945 endete.«
500.000 jüdische Soldaten kämpften in der Roten Armee, mehr als 200.000 starben auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs. Die Schar der jüdischen Veteranen aus der Roten Armee, die nach München kam, muss sich wie jeder Sterbliche der irdischen Vergänglichkeit beugen. Bei der Gedenkfeier auf dem Friedhof wurde auch in diesem Jahr derer gedacht, die im Krieg ihr Leben ließen. »Sie lehren uns, wehrhaft zu sein«, rief Charlotte Knobloch in Erinnerung, »und sie lehren uns, dass nie wieder Hass und Menschenverachtung die Oberhand gewinnen und zu Ausgrenzung und Verfolgung führen dürfen.«
Integration
Der Stellenwert, den die Ehrung der gefallenen Soldaten und der Veteranen über die Grenzen der IKG hinaus genießt, ist an der Liste der Gäste zu erkennen, die die Teilnahme an der Gedenkfeier auf dem Neuen Israelitischen Friedhof als ihre Pflicht ansahen. Gleich drei Generalkonsulen waren darunter: Vadym Kostiuk (Ukraine), Sergey Ganzha (Russische Föderation) und Andrei Kulazhanka (Weißrussland) sowie Vertreter des Veteranenvereins und der Initiative »Phoenix aus der Asche«.
Der immer wieder formulierte Grundgedanke, das Schicksal der Soldaten als Botschaft zu verstehen, ist bei der IKG in Form intensiver Integrationsarbeit der jüdischen Zuwanderer aus der Sowjetunion zu einem zentralen Bestandteil der Agenda geworden. IKG-Vizepräsident Ariel Kligman macht dies mit seinem jahrelangen Amt als IKG-Integrationsbeauftragter deutlich, die Sozialabteilung durch Einsatz hoher Ressourcen. »Integration«, so Kligman, »geht nicht von heute auf morgen.«
Bei der Feier der Veteranen im Gemeindezentrum wurde gelacht und getanzt, Freundschaften bekräftigt oder erneuert und Erinnerungen ausgetauscht. Das ist auch eine Seite des 9. Mai. »An diesem Tag«, erklärte Charlotte Knobloch, »sind Trauer und Freude, Schmerz und Dankbarkeit so eng und untrennbar ineinander verschmolzen, wie das nur im Herzen eines Menschen möglich ist.«
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