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17. März 2016
Schicht um Schicht
Das Tahara-Haus auf dem Alten Israelitischen Friedhof wird restauriert. Von Helmut Reister, erschienen in der Jüdischen Allgemeinen vom 17.3.2016. Lorenz Wallnöfer, Architekt und öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Restaurierung und Sanierung historischer Bauwerke, steht vor keiner einfachen Aufgabe. Er soll das Tahara-Haus auf dem Alten Israelitischen Friedhof an der Thalkirchner Straße im Auftrag der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern wieder zu früherem Glanz und zur Ausstrahlung von einst verhelfen – Stück für Stück.

Der Alte Israelitische Friedhof an der Thalkirchner Straße © Marina Maisel
Vor rund zehn Jahren rückten die Handwerker schon einmal an. Damals war es ihr Ziel, den langsamen Verfall des Gebäudes aufzuhalten. Reparaturen am Dach, eine Heizungsanlage, neue Fenster und ähnliche Baumaßnahmen sorgten dafür, dass zumindest die Bausubstanz auch heute noch als solche gesichert scheint. Trotzdem hat der Zahn der Zeit Spuren im Mauerwerk, im Holz der Türen und in Wandverkleidungen hinterlassen. Der Putz hat an einigen Stellen Blasen gebildet und bröckelt ab.
Festakt
Der nächste geplante Schritt zur Wiederherstellung des Tahara-Hauses soll bis zum Herbst vollzogen sein, wenn das 200-jährige Bestehen des Friedhofs im Norden Münchens ansteht. Der offizielle Festakt soll in der Trauerhalle auf dem Friedhof stattfinden – ein besser geeigneter Platz ließe sich kaum finden. Doch bis dahin ist viel zu tun. Das Fazit von Lorenz Wallnöfer aus der Perspektive des Sanierers lässt daran keinen Zweifel: »Der Raum ist schwer in Mitleidenschaft gezogen.«

Eindrucksvoll: das Tahara-Haus © Marina Maisel
Zunächst wird nur ein Teil der Trauerhalle umfassender restauriert, aber so weit, dass der Jubiläumsfestakt würdevoll vonstattengehen kann. Ein neuer Parkettboden im vorderen Bereich der Aussegnungshalle, behutsame Reinigung der Wände, um Ornamente wieder vollständig sichtbar zu machen, und konservatorische Arbeiten an Decken und Wänden sollen die Schönheit des einzigartigen Raums wieder zur Geltung bringen. Der nahtlos darin übergehende unrenovierte Teil könnte diesen Eindruck durchaus verstärken und eine ganz besondere Atmosphäre schaffen.

Im gotischen Stil gebaut: das Eingangsportal des Friedhofs © Marina Maisel
Architekt Lorenz Wallnöfer sieht ein weites Feld von Nutzungsmöglichkeiten, doch das ist noch Zukunftsmusik. Aktuell geht es zunächst erst einmal darum, die Räumlichkeiten industriell reinigen zu lassen, bevor die eigentlichen Arbeiten beginnen können.
Geschichte
»Die Pflege der jüdischen Friedhofskultur ist nicht nur für die Historie der Gemeinde wichtig. Im Alten Israelitischen Friedhof spiegelt sich auch ein Stück der Geschichte Münchens wider«, erinnert IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch an die vielschichtige gesellschaftliche und historische Bedeutung des Friedhofs. Die Wiederherstellung des Hauptraums im Tahara-Haus, ein zentrales Element auf dem Friedhof, ist deshalb nur eine naheliegende Konsequenz für sie. Charlotte Knobloch hat mit der Projektbetreuung die Leiterin der IKG-Kulturabteilung, Ellen Presser, betraut.

Auch die Trauerhalle wird zurzeit instand gesetzt. © Marina Maisel
Jüdische Friedhofskultur ist im Fall der alten Beisetzungsstätte an der Thalkirchner Straße auch untrennbar mit dem Namen Angermeier verbunden. Johanna Angermeier, die vor wenigen Wochen ihr 50-jähriges Jubiläum als Friedhofsverwalterin im Dienst der IKG feiern konnte, führt eine lange Familientradition weiter. Sie selbst trat 1965 in die Fußstapfen ihrer Schwiegermutter und ist seitdem die Hüterin des Ortes, der – mit einer Ausnahme – schon seit über 100 Jahren keinen Platz mehr für Verstorbene bietet. In den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts fanden neun Juden, die im KZ Dachau von den Nazis ermordet wurden, hier ihre letzte Ruhestätte. Vor etlichen Jahren wurde ihnen zu Ehren auf dem Friedhof ein Denkmal errichtet, das an ihr Schicksal und das von Millionen anderer Juden erinnert.

Friedhofsverwalterin Johanna Angermeier, Architekt Lorenz Wallnöfer und IKG-Kulturchefin Ellen Presser (v.l.) © Marina Maisel
Solche geschichtsträchtigen Ereignisse, die auch auf den Grabsteinen und den Gräbern auf unterschiedliche Weise ihre Spuren hinterlassen haben, sind Johanna Angermeier sofort präsent. So wie es auch viele andere Daten, Begegnungen und Erlebnisse sind, die sich in ihrem Gedächtnis eingegraben haben. Namen verraten ihr oft die Herkunft des Verstorbenen, die Sterbedaten weisen sie auf eine Epidemie hin, der Stil des Grabsteins auf den einstigen Zeitgeschmack und damit auf die Zeit seiner Entstehung. Zudem kennt Johanna Angermeier das Schicksal von nahezu jedem Einzelnen, der hier seine letzte Ruhestätte gefunden hat.
Kulisse
Nur selten wird die Friedhofsruhe gestört. Der Friedhof ist für die Öffentlichkeit nur dann zugänglich, wenn die Volkshochschule München eine ihrer seltenen Führungen anbietet oder ein Verstorbener in einem der alten Familiengräber beigesetzt werden soll. In den 80er-Jahren, als ein Filmteam zu Dreharbeiten anrückte, herrschte noch einmal richtig Trubel.
Auch daran kann sich Angermeier noch gut erinnern. Regisseur Michael Verhoeven drehte hier Szenen zu seinem Film Die weiße Rose. In der Trauerhalle, die jetzt wieder instand gesetzt werden soll, fand für den Film eine Gerichtsverhandlung statt, und im Keller richtete das Filmteam eine Druckerei ein.
Auch dieses kleine Kapitel ist mit dem Alten Israelitischen Friedhof und der Geschichte Münchens verbunden.
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Eine ukrainisch-jüdisch-moldawische Familie, lebt in Leipzig, wo sie russische Spezialitäten verkauft. Und zwar an Osteuropäer, die sich zwischen russischen Flusskrebsen, ukrainischem Wodka und georgischen Sonnenblumenkernen zuhause fühlen. Doch seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist nichts mehr wie zuvor. Die Mutter glaubt den Propagandasendungen des russischen Fernsehens. Ihr Sohn, der keine Sprache mehr als die russische liebt, keinen Menschen mehr als seine Mutter, keine Stadt mehr als Kyjiw, verzweifelt. Um seine Mutter zur Vernunft zu bringen, begibt er sich per Flixbus nach Kiew. Oder wie man inzwischen liest: Kyjiw, von wo er ihr die Wahrheit mitzubringen hofft. Weiterlesen »

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