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23. April 2017

Medizingeschichte: Der jüdische Patient

Robert Jütte stellte in München sein neues Buch »Leib und Leben im Judentum« vor. Von Ellen Presser, erschienen in der Jüdischen Allgemeinen vom 30.03.2017. Vor einigen Jahren gab es im Jüdischen Museum Wien eine Ausstellung mit dem Titel Der schejne Jid. Das Bild des ›jüdischen Körpers‹ in Mythos und Ritual. Dazu erschien damals ein Buch von Sander Gilman, Gabriele Kohlbauer-Fritz und Robert Jütte.

Mit Wissen und Witz: Historiker Robert Jütte. © saa

Mit Wissen und Witz: Historiker Robert Jütte. © saa

 

Die Vorstellungen vom Körper aus jüdischer Sicht ließen den Medizinhistoriker Robert Jütte seitdem nicht mehr los.Im Jüdischen Museum in München stellte er nun auf Einladung der Literaturhandlung sein kürzlich im Jüdischen Verlag bei Suhrkamp erschienenes Werk über Leib und Leben im Judentum vor. Gastgeberin Rachel Salamander betonte, »dass es die erste umfassende Darstellung des jüdischen Körpers ist, eine systematische Zusammenfassung riesiger Stoffmengen und Quellen, die von biblischen Zeiten bis in unsere Tage reichen«.

Schönheitsideal

In sieben großen Abschnitten untersucht Jütte alles Wissenswerte über Haut und Haare, Hygiene und Speisevorschriften, Menstruations- und Bestattungsregeln, Fremdwahrnehmung und Schönheitsideale, Lebensende und Auferstehungsvorstellungen. »Warum soll man sich als Historiker überhaupt mit dem Körper befassen, zumal mit dem jüdischen?«, fragte Jütte seine Zuhörer in München – und gab selbst die Antwort.

Humorvoll und kenntnisreich belegte er mit Beispielen aus Literatur und Medizin, Religionsphilosophie und Zeitgeschichte die Wechselwirkungen von überlieferter Körperwahrnehmung, menschlicher Physis und Vorurteilen. Zu den hartnäckigsten Stereotypen gehört das von der »jüdischen Nase«. Dabei soll eine Studie Ende des 19. Jahrhunderts den höchsten Anteil jüdisch anmutender Nasen ausgerechnet in Bayern ausgemacht haben.

Auf die Frage nach »jüdischen Krankheiten« antwortete der vielseitig beschlagene Medizinhistoriker Jütte mit Wissen und Witz. Es gebe einige wenige genetisch bedingte Krankheiten bei aschkenasischen Juden wie Tay-Sachs und bei sefardischen Juden das Mittelmeerfieber. Ursachen dafür lägen in der isolierten Lebensweise und Siedlungsgeschichte.

Maimonides

Die Debatte etwa zu Diabetes mellitus reiche bis ins 19. Jahrhundert zurück. (O-Ton Jütte: »Wenn ein Goj Durst hat – ein Symptom der Zuckerkrankheit –, geht er in die Kneipe. Wenn ein Jude zu viel Durst hat, geht er zum Arzt.«)

Interessant ist der Umgang mit Gesundheit und Schmerz auf jeden Fall. Der Körper werde, so der Historiker Jütte, nicht nur bei Maimonides als Wunderwerk Gottes betrachtet. Ihn gesund und am Leben zu erhalten, habe allerhöchste Priorität. Gesundheit sei ungleich wichtiger als irdische Reichtümer. Nicht zu verwechseln mit Schönheit: »Denn nicht der ansehnliche, sondern der geistig gebildete Jude« sei das Ideal gewesen.

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So. 12.10.2025 | 20. Tischri 5786

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„Sputnik“: Lesung und Gespräch mit Christian Berkel

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Sonntag, 12. Oktober 2025, 17 Uhr

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Am 4. Oktober 1957 erreichen die ersten Satelliten die Erdumlaufbahn. Kurz darauf erblickt in Westberlin Sputnik das Licht der Welt. Er wächst auf zwischen den Geschichten seiner Mutter Sala und den Büchern seines Vaters Otto. Eine wichtige Lebensstation wird Paris, wo er nicht nur zur Schule geht, sondern Theater und Varieté für sich entdeckt. Die Rückkehr nach Deutschland fällt in eine Umbruchszeit auch der Theaterwelt der 70er Jahre. Eine wilde Phase des Experimentierens bricht an, bis Sputnik wie so viele vom Mauerfall 1989 überrollt wird. Und zu ahnen beginnt, wer er ist, oder zumindest, wer er sein könnte. In seinem dritten Roman begibt sich Christian Berkel erneut auf eine sehr persönliche Spurensuche, die bis in eine erschreckend veränderte Gegenwart führt. Weiterlesen »

Sa. 18.10.2025 | 26. Tischri 5786

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Vortrag und Konzert
Beitrag der IKG München und Oberbayern zur Langen Nacht

Samstag, 18. Oktober 2025, 20:30–23:00 Uhr

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Vorträge (je 30 Minuten)

  • 20:30 Uhr: Dr. Elisabeth Rees-Dessauer
  • 21:45 Uhr: Ellen Presser

21:00 und 22:15 Uhr: Konzert des Synagogenchors unter Leitung von David Rees (je 30 Minuten), Begleitung am Piano: Luisa Pertsovska Weiterlesen »

Mo. 03.11.2025 | 12. Cheschwan 5786

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Mit Dmitrij Kapitelman: „Russische Spezialitäten“

Beginn 19:00

Buchpräsentation und Gespräch
Montag, 3. November 2025, 19 Uhr

Moderation: Ellen Presser

Eine ukrainisch-jüdisch-moldawische Familie, lebt in Leipzig, wo sie russische Spezialitäten verkauft. Und zwar an Osteuropäer, die sich zwischen russischen Flusskrebsen, ukrainischem Wodka und georgischen Sonnenblumenkernen zuhause fühlen. Doch seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist nichts mehr wie zuvor. Die Mutter glaubt den Propagandasendungen des russischen Fernsehens. Ihr Sohn, der keine Sprache mehr als die russische liebt, keinen Menschen mehr als seine Mutter, keine Stadt mehr als Kyjiw, verzweifelt. Um seine Mutter zur Vernunft zu bringen, begibt er sich per Flixbus nach Kiew. Oder wie man inzwischen liest: Kyjiw, von wo er ihr die Wahrheit mitzubringen hofft. Weiterlesen »

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