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10. Januar 2013

von Trottas „Hannah Arendt“: Die Intellektuelle als Star

Kann man Denken auf die Leinwand bringen? Margarethe von Trottas „Hannah Arendt“ wagt den Versuch. Von Rüdiger Suchsland, erschienen in der Jüdischen Allgemeinen vom 10.1.2013. Im Jahr 1961 ging die aus Deutschland stammende amerikanische Philosophin Hannah Arendt (1906–1975) für einige Wochen nach Jerusalem, um dort als Reporterin des „New Yorker“ den Prozess gegen Adolf Eichmann zu verfolgen. Als nach dem Todesurteil gegen Eichmann Arendts langer Essay Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen zuerst in fünf Magazin-Folgen und bald darauf als Buch erschien, löste er eine der heftigsten Kontroversen der Nachkriegszeit aus – einen Streit, der nicht allein Arendts weiteres Leben und ihr Werk als Philosophin beeinflusste, sondern auch den politischen wie historischen Blick auf den Nationalsozialismus überhaupt. Bis heute ist diese „Eichmann-Kontroverse“ nicht wirklich abgeklungen.

Eichmann

Diesen Jerusalem-Besuch und den Beginn der Kontroverse stellt Margarethe von Trotta nun ins Zentrum ihres Films, einer der leider zu seltenen Versuche, Intellektuelle und Denkprozesse zum Kinothema zu machen. Hannah Arendt setzt im Jahr 1960 ein, mit seiner einzigen »Action«-Szene, die die Entführung Eichmanns aus Argentinien durch Israels Geheimdienst zeigt.

Eichmann, ein überzeugter Nazi, gehörte seit 1940 als Leiter des für »Judenfragen« zuständigen Referats IV B 4 des Reichssicherheitshauptamts zu den zentralen Organisatoren der Schoa. Trottas Film ist eine Gratwanderung zwischen Doku-Fiction und freierer Meditation, die mit den Mitteln des Spielfilms intellektuellen Vorgängen ästhetische Gestalt zu geben sucht und zentrale philosophische Fragen wie Schuld und Verantwortung, das Engagement eines Denkers in der Öffentlichkeit und die Natur des Bösen ins Zentrum rückt.

Die zentrale Herausforderung ist dabei, ob und wie es gelingen kann, Ideen, Thesen und das Denken selbst auf die Leinwand zu bringen. Über weite Strecken funktioniert dies hier gut und ohne Arendts Standpunkte zu banalisieren. Trotta zeigt ihre Heldin bei Vorträgen und vor ihren Studenten im Seminar, lässt sie kurze Textpassagen lesen oder mit Freunden debattieren. Dies wirkt nie zu trocken und akademisch, ist durchaus abwechslungsreich und im Rahmen des Möglichen dynamisch erzählt.

Emigrantenmilieu

Besonders gelungen ist dabei die Schilderung des deutsch-jüdischen Emigrantenmilieus um 1961. Auch 15 Jahre nach Kriegsende sind diese Menschen traumatisiert und zugleich immer noch stark der deutschen Kultur vor 1933 verhaftet. Es wird deutsch gegessen, deutsch gesprochen, und auch die Debatten und der Stil des Streitens erscheinen den wenigen Nichtdeutschen, wie Arendts enger Freundin, der Schriftstellerin Mary McCarthy (Janet McTeer), derart fremd, dass sie sich als Außenseiter fühlen.

Unvermeidlich driftet der Film mitunter ins Anekdotische ab, etwa in wenigen Rückblickspassagen, in denen Arendt am Schreibtisch sinnend an ihre Begegnungen mit Martin Heidegger zurückdenkt, ihren philosophischen Lehrer, mit dem sie zeitweilig eine Liebesbeziehung verband, der nach 1933 aber sich wie sein Denken unrettbar kompromittierte, indem er offen Partei für das NS-Regime ergriff und sich öffentlich an der antisemitischen Hetze beteiligte, selbst gegen seinen einstigen Lehrer Edmund Husserl.

Diese Momente lassen die Hauptfigur schwächer erscheinen als nötig, bringen sie sie doch in die längst überwundene Position einer Schülerin, die immer noch innerlich dem bewunderten Meisterdenker lauscht – obwohl die reale Hannah Arendt mit Heidegger auch philosophisch längst gebrochen hatte.

Argumentation

Sonst hält sich der Film eng an die Fakten. Der Eichmann-Prozess wird durch dokumentarische Aufnahmen illustriert. Die Bedeutung bestimmter Zeugenaussagen oder der umstrittenen Rolle der Judenräte dürfte sich dem uninformierten Betrachter allerdings nur schwer erschließen. Klar wird, warum Eichmann Arendt als exemplarischer Täter erschien. Es ist heute in, Arendt Irrtümer im Einzelnen nachzuweisen und ihr nie unumstrittenes Buch dadurch zu diskreditieren, ohne ihr aufs Ganze zielendes philosophisches Argument wirklich zu würdigen. Dieses wird bei Trotta sehr wohl deutlich: Das Böse ist nach Arendt keine Charakterschwäche, sondern ein soziales Verhalten.

Weit unklarer bleibt die berühmte Formel von der »Banalität des Bösen« – weil das englische Wort »banality« keineswegs »Nichtigkeit« meint, sondern »Allgemeingültigkeit«. Arendts Formulierung läuft auf eine Radikalisierung, nicht Abschwächung von Eichmanns Schuld hinaus, als die sie zum Teil missverstanden wurde.

Im Fall ihrer Kritik an der Rolle der Judenräte wiegt die Vereinfachung gravierender: Hier bleibt im Film vor allem der Gedanke schlichter Mitschuld haften, der sich bei Arendt weit komplexer liest. Zudem lautete ihre These vor allem, noch in der Vernichtung hätten die Judenräte zu sehr für Recht und Ordnung gesorgt, seien »zu deutsch« gewesen – Chaos und Unordnung hätten womöglich mehr Menschen gerettet.

Parteinahme

Zu wenig Raum wird bei Trotta insgesamt den Argumenten von Kritikern wie Hans Jonas gegeben, der im Film, gespielt von Ulrich Noethen, Arendts Hauptantagonist ist. Vielleicht ist es von einem Spielfilm zu viel verlangt, alle Seiten fair darzustellen, doch schlägt sich die Regisseurin ganz auf die Seite ihrer Heldin. So fällt nicht nur unter den Tisch, wie orchestriert die Kampagne gegen Arendt lief, sondern auch, dass sie andererseits sehr wohl substanziell begründet war. Stattdessen erlebt man das private Drama einer Frau in der Männerwelt und einer Außenseiterin, die einmal mehr von manchen Freunden im Stich gelassen wird.

In der Hauptrolle erscheint Barbara Sukowa auch auf den zweiten Blick nicht als Idealbesetzung. Zu asketisch, spröde und ätherisch-unkörperlich ist ihr Darstellungsstil. Um als Arendt zu überzeugen, entschied man sich daher für die Betonung bestimmter Äußerlichkeiten: Immerzu sieht man sie rauchen, und Arendts deutscher Akzent im Englischen wird sehr stark betont – mag beides auch den Tatsachen entsprechen, wirkt es in Sukowas Spiel manieriert. Die emotionale Mitte des Films ist Axel Milberg als Arendts Ehemann Heinrich Blücher.

So sehr Hannah Arendt überzeugt und insgesamt als spannendes Drama sehenswert ist, bleibt doch eine Einschränkung: Trottas Film hat eine Tendenz zum Illustrativen und nähert sich der Form eines Fernsehdramas an. Szene folgt auf Szene, aber der Film »atmet« kaum und scheut offene Subjektivität. Sie schätze besonders Arendts Formel von der Philosophie als »Denken ohne Geländer«, hat Margarethe von Trotta in einem Interview erklärt. Etwas mehr Filmen ohne Geländer hätte man sich von ihr gewünscht.

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