Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern

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24. November 2016

Geschichte aus erster Hand

Die IKG erinnerte mit vielen Veranstaltungen an die Opfer der Pogromnacht. Von Helmut Reister, erschienen in der Jüdischen Allgemeinen, 24.11.2016. Der Schmerz, der mit dem 9. November 1938 verbunden ist und zum festen Bestandteil des kollektiven Bewusstseins der Juden wurde, ist nicht auslöschbar. Trotzdem hat die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern mit Präsidentin Charlotte Knobloch an der Spitze den Mut gefunden, diesem Tag der Erinnerung an den Wahnsinn des Nationalsozialismus mit der Eröffnung der Ohel-Jakob-Synagoge auch einen positiven Aspekt zu verleihen.

»Irrsinn des Nationalsozialismus«: IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch. © Marina Maisel

»Irrsinn des Nationalsozialismus«: IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch. © Marina Maisel

 

In diesem Jahr, zur Feier des zehnjährigen Jubiläums der sichtbaren Rückkehr der jüdischen Gemeinde ins Herz der Stadt, bekundeten viele hochrangige Vertreter aus Politik, Religion, Kultur und Stadtgesellschaft durch ihre Anwesenheit die tiefe Verbundenheit mit der IKG und der jüdischen Gemeinschaft. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel gehörte dazu. Zuvor, am Tag vor der abendlichen Jubiläumsveranstaltung, gedachten München und seine Bürger der Holocaust-Opfer und riefen in Erinnerung, auf welche Weise die Nazis in der Pogromnacht ihr menschenverachtendes Gesicht zeigten.

Deportation

Am Gedenkstein für die von den Nazis zerstörte Münchner Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße findet jedes Jahr am 9. November eine Namenslesung unter dem Motto »Jeder Mensch hat einen Namen« in Erinnerung an die Opfer des Holocaust statt. In diesem Jahr wurde der 421 Münchner Kinder gedacht, die von den Nazis ermordet wurden.

Engagiert: die Kabarettistin Luise Kinseher. © Marina Maisel

Engagiert: die Kabarettistin Luise Kinseher. © Marina Maisel

 

Schüler, engagierte Bürger und bekannte Münchner Persönlichkeiten lasen jeden einzelnen Namen vor, Ilse Macek vom Verein »Gegen Vergessen – Für Demokratie« umriss den Anlass der Gedenkveranstaltung, Eva König von der Arbeitsgruppe »Gedenken an den 9. November 1938« steuerte zur Reflexion Zwischentexte bei, und Sabine Schalm vom Kulturreferat der Stadt wies auf die besondere Verantwortung der ehemaligen »Hauptstadt der Bewegung« bei der geschichtlichen Aufarbeitung hin. Das Gedenkgebet El Male Rachamim sprach Rabbiner Shmuel Aharon Brodmann von der Kultusgemeinde.

Zeitgeschichte aus erster Hand wurde auf unterschiedliche Weise im Alten Rathaus geboten. Aus den Beständen des Stadtarchivs war die Ausstellung verzogen, unbekannt wohin … zusammengestellt worden, eine Dokumentation zur ersten Deportation von Münchner Juden nach Kaunas (Litauen) im Jahr 1941. Filmdokumente des Stadtarchivs führten direkt in die Pogromnacht zurück und zeigten unter anderem die brennende Ohel-Jakob-Synagoge, die am 9. November ebenfalls zerstört wurde, aber ihren Namen an das neue Gotteshaus auf dem Jakobsplatz weitergab.

Unermüdlich

Charlotte Knobloch spielte am Gedenktag in diesem Zusammenhang eine ganz besondere Rolle. Ihr unermüdlicher Einsatz, ihre Überzeugungskraft, ihre große Beharrlichkeit sind wesentliche Faktoren, die das religiöse und kulturelle Zentrum mit Synagoge und Gemeindehaus mitten in München überhaupt erst realisierbar machten. Für ihre Leistung erntete sie in der Festveranstaltung am Abend viel Anerkennung von allen Seiten. Wenige Stunden zuvor hatte die IKG-Präsidentin noch im »Zeitzeugen-Forum« im Saal des Alten Rathauses als Zeitzeugin vielen Schülern von ihrer Angst berichtet, als sie vor über 70 Jahren die alte Ohel-Jakob-Synagoge brennen sah – so präsent und eindrücklich, als wäre es kein lange Zeit zurückliegendes Kindheitserlebnis, sondern erst gestern geschehen.

»Schoa-Überlebende«, betonte Charlotte Knobloch im Gespräch mit den Schülern, »sind als Zeitzeugen von eminenter Wichtigkeit. Sie haben den ideologischen und mörderischen Irrsinn des Nationalsozialismus erlebt, sie kennen die Folgen besser als jeder andere.« Die Vergangenheit hat auch bei Hannah Zimmermann Spuren und Wunden hinterlassen, die nicht vergehen. Auch sie erzählte im »Zeitzeugen-Forum« von ihren persönlichen Erlebnissen jener Zeit. Schüler des Franz-Marc-Gymnasiums aus Markt Schwaben, das für sein Engagement gegen Rassismus und Diskriminierung bekannt ist, hörten ihr aufmerksam zu. Die Jugendlichen waren auf Einladung des IKG-Jugendzentrums angereist, um an den Erinnerungsprojekten zum 9. November 1938 teilzunehmen.

Der »Weg der Erinnerung«, ein fester Bestandteil des Erinnerungsprogramms, führte vom Marienplatz bis zum Gedenkstein der von den Nazis zerstörten Hauptsynagoge und stellte eine direkte Konfrontation mit der Judenverfolgung in München dar. Bei den geführten Stadtgängen erhielten die Teilnehmer Informationen über das Schicksal jüdischer Familien, die in den Häusern entlang der Route lebten.

Hetze

Ebenjener »Weg der Erinnerung«, der beim Synagogen-Denkmal endete, begann mit der ersten Station genau dort, wo auch die Zeitzeugen zu Wort kamen, wo die Ausstellung und die Dokumentationsfilme liefen und wo einst der nationalsozialistische Hass regierte: im Alten Rathaus am Marienplatz. Im Jahr 1938 hielt Joseph Goebbels genau an diesem Ort eine seiner Hetzreden – Stunden später brannten die Synagogen im ganzen Land, Juden wurden misshandelt, ermordet, in KZ deportiert, Geschäfte geplündert, Wohnungen zerstört und ausgeraubt.

Charlotte Knobloch erzählte den Schülern davon, wie furchtbar und unverständlich es für sie war, als ihr von Menschen, die immer freundlich zu ihr waren, plötzlich Missachtung und Hass entgegenschlugen. 78 Jahre später, in der Festveranstaltung in der Synagoge Ohel Jakob, machte sich die Präsidentin auch Sorgen über den immer offener auftretenden Antisemitismus und das Erstarken rechter politischer Kräfte in Deutschland.

Aber sie ist auch aufgrund ihrer langjährigen Freundschaft mit Angela Merkel davon überzeugt, dass sie mit der Bundeskanzlerin, die an diesem Abend von der IKG die Ohel-Jakob-Medaille in Gold erhielt, im Kampf gegen Antisemitismus eine überzeugte Mitstreiterin gefunden hat.

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Oktober 2025 | Tischri-Cheschwan | « »

Aktuelle Veranstaltungen


So. 12.10.2025 | 20. Tischri 5786

Kultur

„Sputnik“: Lesung und Gespräch mit Christian Berkel

Beginn 17:00

Buchpräsentation
Sonntag, 12. Oktober 2025, 17 Uhr

Moderation: Günter Keil

Am 4. Oktober 1957 erreichen die ersten Satelliten die Erdumlaufbahn. Kurz darauf erblickt in Westberlin Sputnik das Licht der Welt. Er wächst auf zwischen den Geschichten seiner Mutter Sala und den Büchern seines Vaters Otto. Eine wichtige Lebensstation wird Paris, wo er nicht nur zur Schule geht, sondern Theater und Varieté für sich entdeckt. Die Rückkehr nach Deutschland fällt in eine Umbruchszeit auch der Theaterwelt der 70er Jahre. Eine wilde Phase des Experimentierens bricht an, bis Sputnik wie so viele vom Mauerfall 1989 überrollt wird. Und zu ahnen beginnt, wer er ist, oder zumindest, wer er sein könnte. In seinem dritten Roman begibt sich Christian Berkel erneut auf eine sehr persönliche Spurensuche, die bis in eine erschreckend veränderte Gegenwart führt. Weiterlesen »

Sa. 18.10.2025 | 26. Tischri 5786

Kultur

26. Lange Nacht der Museen in München

Beginn 20:30

Vortrag und Konzert
Beitrag der IKG München und Oberbayern zur Langen Nacht

Samstag, 18. Oktober 2025, 20:30–23:00 Uhr

Auf einen Blick:

Vorträge (je 30 Minuten)

  • 20:30 Uhr: Dr. Elisabeth Rees-Dessauer
  • 21:45 Uhr: Ellen Presser

21:00 und 22:15 Uhr: Konzert des Synagogenchors unter Leitung von David Rees (je 30 Minuten), Begleitung am Piano: Luisa Pertsovska Weiterlesen »

Mo. 03.11.2025 | 12. Cheschwan 5786

Kultur

Mit Dmitrij Kapitelman: „Russische Spezialitäten“

Beginn 19:00

Buchpräsentation und Gespräch
Montag, 3. November 2025, 19 Uhr

Moderation: Ellen Presser

Eine ukrainisch-jüdisch-moldawische Familie, lebt in Leipzig, wo sie russische Spezialitäten verkauft. Und zwar an Osteuropäer, die sich zwischen russischen Flusskrebsen, ukrainischem Wodka und georgischen Sonnenblumenkernen zuhause fühlen. Doch seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist nichts mehr wie zuvor. Die Mutter glaubt den Propagandasendungen des russischen Fernsehens. Ihr Sohn, der keine Sprache mehr als die russische liebt, keinen Menschen mehr als seine Mutter, keine Stadt mehr als Kyjiw, verzweifelt. Um seine Mutter zur Vernunft zu bringen, begibt er sich per Flixbus nach Kiew. Oder wie man inzwischen liest: Kyjiw, von wo er ihr die Wahrheit mitzubringen hofft. Weiterlesen »

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