Kultur
« Zurück
3. August 2017
Gefeiert und vergessen
Judith Ritter erinnerte bei ihrer Buchvorstellung an die Autorin und Frauenrechtlerin Carry Brachvogel. Von Ellen Presser, erschienen in der Jüdischen Allgemeinen vom 03.08.2017. Der erste Band des Biographischen Gedenkbuchs der Münchner Juden 1933–1945 enthält ein Porträt über Karoline (Carry) Brachvogel mit Hinweisen auf ihre zahlreichen Veröffentlichungen.

»Warst beliebt und hast uns zum Lächeln gebracht/Deine Bücher haben München Ehre gemacht«: Carry Brachvogel (1864–1942) © Jüdisches Museum München
Nach dem Unfalltod ihres Mannes 1892 hatte die nun Alleinerziehende zu schreiben begonnen. Aus dem Broterwerb wurde in den folgenden drei Jahrzehnten eine Bestsellerschmiede. Allein 39 Romane, Biografien und Einzelbände führt das Werkverzeichnis der höchst lesenswerten Biografie von Judith Ritter über Die Münchner Schriftstellerin Carry Brachvogel: Literatin, Salondame, Frauenrechtlerin auf.
Passenderweise stellte Ritter, eine der vielen erfolgreichen Absolventen des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität, ihr Buch kürzlich in der Monacensia vor, der Spezialbibliothek für alles Kulturelle rund um München. Ritters Buch ist der zwölfte Band der ambitionierten Reihe Studien zur Jüdischen Geschichte und Kultur in Bayern, herausgegeben von Michael Brenner und Andreas Heusler.
Profil
Als Abschlussarbeit hatte Judith Ritter ein jüdisches Frauenporträt aus München im Sinn. Die Wahl fiel auf Carry Brachvogel. Ein Foto, das um 2004 im ehemaligen Jüdischen Museum in der Reichenbachstraße hing, faszinierte Ritter. Die Pose der rauchenden Frau im Profil an ihrem Schreibtisch animierte sie, mehr über diese als »feingebildete Jüdin voller boshaftem Witz« bezeichnete emanzipierte Frau herauszufinden.
In ihrer Privatkorrespondenz erwies sich Brachvogel als empathisch, herzlich, leidenschaftlich, und ihre konservative Grundhaltung ließ sich mit ihrem Eintreten für Frauenrechte durchaus vereinbaren. Sie hatte eine differenzierte Einstellung zum Judentum und zu ihrem eigenen Jüdischsein. Da sie sich als areligiös begriff, kam für sie eine Konversion zum Christentum nie in Betracht. Ihr erstes Kind, eine Tochter, blieb ungetauft. Ihr Leben sei, so resümierte Brenner in seiner Einführung, »ein Zeugnis für die starke Integration des Münchner jüdischen Bürgertums in das Leben der Stadt – und seiner Ausgrenzung während der Nazizeit«.
1924, zu ihrem 60. Geburtstag, gratulierte der Münchner Oberbürgermeister noch persönlich; ab 1933 galt für Brachvogel Publikationsverbot. 1913 hatte sie den »Verein Münchner Schriftstellerinnen« mitbegründet, seit 1925 war sie Vorsitzende, im Mai 1933 beschlossen die anderen Frauen ihren Ausschluss in Abwesenheit. 1942 wurde sie – gemeinsam mit ihrem Bruder, dem Historiker und ehemaligen Universitätsprofessor Siegfried Hellmann – nach Theresienstadt deportiert. Vier Monate später waren beide tot.
Feuilletons
Das Totschweigen jedoch reichte über das Jahr 1945 weit hinaus. Inzwischen gibt es eine kleine Brachvogel-Renaissance. Seit 1992 trägt ein Salon in der Seidlvilla in Schwabing ihren Namen. 2012 beschloss der Stadtrat, eine Straße in Bogenhausen nach ihr zu benennen. Ihre Werke werden, so zum Beispiel Im weiß-blauen Land. Bayerische Bilder. Feuilletons (1923), im Münchner Allitera-Verlag wieder aufgelegt.
Die Chansonnière Susanne Weinhöppel dichtete einen »Abgesang auf Carry Brachvogel«, in dem es heißt: »Warst beliebt und hast uns zum Lächeln gebracht/Deine Bücher haben München Ehre gemacht/Die kennt fast keiner mehr/Niemand vermisst dich sehr/ Wo deine Knochen sind/Das weiß der Wind«.
Judith Ritter: »Die Münchner Schriftstellerin Carry Brachvogel«. De Gruyter, Berlin 2016, 195 S., 29,95 Euro (Online kaufen: literaturhandlung.com)
VeranstaltungenÜberblick »
Oktober 2025 | Tischri-Cheschwan
- So
- Mo
- Di
- Mi
- Do
- Fr
- Sa
- 1
- 2
- 3
- 4
- 5
- 6
- 7
- 8
- 9
- 10
- 11
- 12
- 13
- 14
- 15
- 16
- 17
- 18
- 19
- 20
- 21
- 22
- 23
- 24
- 25
- 26
- 27
- 28
- 29
- 30
- 31
Aktuelle Veranstaltungen
So. 12.10.2025 | 20. Tischri 5786
Kultur
„Sputnik“: Lesung und Gespräch mit Christian Berkel
Beginn 17:00Buchpräsentation
Sonntag, 12. Oktober 2025, 17 Uhr
Moderation: Günter Keil
Am 4. Oktober 1957 erreichen die ersten Satelliten die Erdumlaufbahn. Kurz darauf erblickt in Westberlin Sputnik das Licht der Welt. Er wächst auf zwischen den Geschichten seiner Mutter Sala und den Büchern seines Vaters Otto. Eine wichtige Lebensstation wird Paris, wo er nicht nur zur Schule geht, sondern Theater und Varieté für sich entdeckt. Die Rückkehr nach Deutschland fällt in eine Umbruchszeit auch der Theaterwelt der 70er Jahre. Eine wilde Phase des Experimentierens bricht an, bis Sputnik wie so viele vom Mauerfall 1989 überrollt wird. Und zu ahnen beginnt, wer er ist, oder zumindest, wer er sein könnte. In seinem dritten Roman begibt sich Christian Berkel erneut auf eine sehr persönliche Spurensuche, die bis in eine erschreckend veränderte Gegenwart führt. Weiterlesen »
Sa. 18.10.2025 | 26. Tischri 5786
Kultur
26. Lange Nacht der Museen in München
Beginn 20:30Vortrag und Konzert
Beitrag der IKG München und Oberbayern zur Langen Nacht
Samstag, 18. Oktober 2025, 20:30–23:00 Uhr
Auf einen Blick:
Vorträge (je 30 Minuten)
- 20:30 Uhr: Dr. Elisabeth Rees-Dessauer
- 21:45 Uhr: Ellen Presser
21:00 und 22:15 Uhr: Konzert des Synagogenchors unter Leitung von David Rees (je 30 Minuten), Begleitung am Piano: Luisa Pertsovska Weiterlesen »
Mo. 03.11.2025 | 12. Cheschwan 5786
Kultur
Mit Dmitrij Kapitelman: „Russische Spezialitäten“
Beginn 19:00Buchpräsentation und Gespräch
Montag, 3. November 2025, 19 Uhr
Moderation: Ellen Presser
Eine ukrainisch-jüdisch-moldawische Familie, lebt in Leipzig, wo sie russische Spezialitäten verkauft. Und zwar an Osteuropäer, die sich zwischen russischen Flusskrebsen, ukrainischem Wodka und georgischen Sonnenblumenkernen zuhause fühlen. Doch seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist nichts mehr wie zuvor. Die Mutter glaubt den Propagandasendungen des russischen Fernsehens. Ihr Sohn, der keine Sprache mehr als die russische liebt, keinen Menschen mehr als seine Mutter, keine Stadt mehr als Kyjiw, verzweifelt. Um seine Mutter zur Vernunft zu bringen, begibt er sich per Flixbus nach Kiew. Oder wie man inzwischen liest: Kyjiw, von wo er ihr die Wahrheit mitzubringen hofft. Weiterlesen »

Israelitische Kultusgemeinde
München und Oberbayern K.d.ö.R.
St.-Jakobs-Platz 18
80331 München
Tel: +49 (0)89 20 24 00 -100
Fax: +49 (0)89 20 24 00 -170
E-Mail: empfang@ikg-m.de