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7. Januar 2014

Film portraitiert Abie Nathan – Er brachte Israel Coolness, Burger und Peace

John Lennon huldigte ihm. Marseilles Huren halfen ihm. Die Politiker Israels fürchteten ihn. Jetzt erinnert Eric Friedler in einem fabelhaften Dokumentarfilm an den Friedensaktivisten Abie Nathan. Von Elmar Krekeler, erschienen auf Die Welt Online, 7.1.2014.

Sogar aus dem Song ist er verschwunden. Dem Song, in dem er eigentlich noch vor Hare Krishna kommt und Bob Dylan und Ginsberg und John und Yoko. Give Peace a Chance“ heißt er. John Lennon kräht seine musikalisch nicht eben geniale Friedenhymne in Eric Friedlers Dokumentarfilm „The Voice of Peace“ 1969 in Toronto.

„Eins, zwei, drei, vier“ zählt Lennon auf Deutsch, neben ihm hüpft und grölt Yoko. Er schrammelt los. Und dann am Ende der zweiten Strophe kommt er, der Erfinder des Hamburgers und der Friedensbewegung für Israel: „Everybody’s talking about, revolution / Evolution, masturbation, flagellation / Regulation, integrations, meditations / United Nations, congratulations / Abie Nathan“.

Der Sage nach ist der Grimme-Preisträger Eric Friedler, der für den NDR diverse grandiose Dokumentationen erstellt und den legendären Hamburger „Tatort“-Ermittler Cenk Batu miterfunden hat, genau über diesen Mitschnitt gestolpert. Er stellte sich die Frage, die sich damals Ende der Sechziger schon etliche Friedensbewegte Lennon-Fans stellten (weswegen Abie aus dem offiziellen Lyrics dann möglicherweise auch verschwand).

Wer, bitte, ist denn dieser Abie Nathan

Was bitte, wenn nicht eine neue Wurst- oder Käsesorte oder Sexualpraktik, ist eigentlich Abie Nathan. Friedler begann zu recherchieren, hörte sich um. Er fand Leute, die bei der schieren Erwähnung des Namens Abie Nathan feuchte Augen bekamen wie die Dirigenten Zubin Mehta und Daniel Barenboim. Fiedler grub ein beinahe untergegangenes Stück Zeitgeschichte aus, eine grandiose Tragödie und einen Menschen, dem sich eine Hagiographie zu erstellen lohnt, so bruchlos und sonnenuntergangsbeschienen wie Friedlers „The Voice of Peace“.

Der Kern der Geschichte ist, dass Abie Nathan zwanzig Jahre lang von 1973 an, ein Radioprogramm machte: von einem zum Piratensender umgebauten ehemaligen holländischen Streikbrecher aus, der vor der Küste Israels manchmal kreuzte, meistens sichtbar vor Anker lag. Das nannte er „The Voice of Peace“. Auf UKW 100,0 fand sich das. Gesendet „From somewhere in the mediterrenean“ war die Ansage. Was dem Programm etwas Mystisches gab. Nathan spielte die neueste Musik, beschäftigte ein Dutzend idealistische, feine DJs. Und dazwischen gab’s Gedenken an die Opfer von Krieg und Terror (jeden Tag 30 Sekunden Schweigen) und pazifistische Botschaften.

23 Millionen Hörer hatte der Mann, den sie Abie nannten, manchmal. Er sammelte Spenden für die Hungernden, für die Verfolgten. Die Zahl seiner Feinde wuchs gewaltig. Israel befand sich im permanenten Krieg, als er zu senden begann. Was Abie machte, kam Hochverrat schon ziemlich nahe.

Die Ein-Mann-Friedensshow des Nahen Ostens

Abie war eine Ein-Mann-Friedens-und-Versöhnungsshow für den Nahen Osten, als Israelis es noch verboten war, Palästinensern auch nur die Hand zu reichen. Die Politiker und selbst der Mossad hatten Angst vor ihm und seiner Popularität, sie hätten ihn gern versenkt „somewhere in the mediterranean“, aber sie trauten sich nicht.

Er war seiner Zeit voraus, er hat nicht viel davon gehabt, aber dazu später. Oder besser, wie sein Freund und Antipode Schimon Peres bei Friedler in einem Moment geradezu unpolitikerhafter Offenheit gesteht: „Nicht er war seiner Zeit voraus, wir hinkten unserer Zeit hinterher.“

Der Mann, den sie Abie nannten, war Sohn gut betuchter iranisch-jüdischer Stoffhändler. Er wollte Schauspieler werden (was er dann ja auch irgendwie wurde), wurde dann aber tatsächlich Pilot. Für die Royal Air Force flog er erst. 1948, mit 21, kam er nach Israel.

Er bombardierte palästinensische Dörfer

Im Unabhängigkeitskrieg flog er Einsätze. Bombardierte palästinensische Dörfer und bekam ein Trauma davon, als er einmal nachsah, was er da eigentlich angerichtet hatte. Ein Trauma, das sein Leben veränderte. Später flog er dann auch für die El Al, führte ein Jetsetleben und entwickelte allmählich eine Mission.

Wurde zu einer sehr eigenen Mischung aus Don Juan und Don Quichote – mit der Naivität und der Unerbittlichkeit beider Figuren zog er sein Leben durch und scheiterte an seiner Zeit und der Politik wie der spanische Ritter an den Windmühlenflügeln.

Es begann eigentlich alles mit einem Café. „California“ hieß das. Es verschaffte der Kibbuzimgesellschaft Israels, der Golda Meir vorstand, einen der ersten kräftigen Luftzug Weltläufigkeit und Moderne und Coolness. Er roch nach gegrilltem Rindfleisch, dieser Luftzug. Abie Nathans „California“ briet die ersten israelischen Hamburger.

Und dann flog er im Doppeldecker zum Erzfeind

Das Geschäft lief gut. Er wurde in Tel Aviv weltberühmt. Er eröffnete eine Galerie, die linke Boheme Israels, die sich gerade zu formen begann, traf sich bei ihm in der Dizengoff-Straße. Abie, der Frauen um sich und seine freizügig offen gezeigte behaarte Brust scharte, Abie, der Playboy (Rolf Eden spricht bei Friedler voller Bewunderung von seinem Kollegen und Generationsgenossen) wurde zur Institution. Und er nutzte es aus.

Eines Tages, genauer am 28. Februar 1966 der ein Schlüsseldatum in der Geschichte Israels wurde, setzte er sich in einen weißen Doppeldecker, der genauso alt war wie er selbst und den er „Shalom“ getauft hatte, und flog nach Ägypten. Kann man sich gar nicht mehr vorstellen, was das hieß. Zum Erzfeind, der Israel von Landkarte fegen wollte, mit dem sein Land sich im permanenten Kriegszustand befand, wo er nur ermordet oder zumindest gefoltert werden konnte. Das war verboten.

Die Republik hielt den Atem an, schrie auf, als es hieß, Abie sei abgeschossen worden, holte tief Luft, als sich das nicht bestätigte. Die hatten ihn freundlich empfangen in Port Said, stellte sich heraus, als Abie, die vollverfrühte Friedenstaube, zurück kam, lebend und triumphierend und vom Gefängnis bedroht. Gespräche mit Ägypten waren möglich. Gut ein Dutzend Jahre später wurde Sadat in der Knesset empfangen. Abie, das große Kind, das immer älter wurde, aber immer Kind blieb, hatte mit den Begrenztheiten seiner Zeit gespielt und ihr Zeit zum ersten Mal voraus gewesen.

Er war die Mutter Teresa Israels

Schon damals hatte Abie Nathan sich als schnelle Ein-Mann-Eingreiftruppe verstanden für die Katastrophenregionen der Welt. Hatte sich für Bangladesch eingesetzt und für die Rettung der Kinder von Biafra. „Unsere Mutter Teresa“ nennt ihn einer in Friedlers Film. Abie, der Charismatiker, der Netzwerker, der Geldeintreiber, schaffte es in unglaublich kurzer Zeit eine ebenso unglaubliche Zahl von Hilfsgütern und Spenden einzusammeln und spornstreichs dahin zu bringen, wo alles gebraucht wurde.

Für seine eigentliche Mission, die Aussöhnung in der Mittelmeerregion, brauchte es ein anderes Symbol. Er verkaufte alles, was er hatte, für sein Schiff. Er bettelte, wo er konnte, er fuhr nach New York, wo ihn Lennon und Dylan und Baez und Seeger unterstützten. Kehrte überhastet zurück, landete mit dem letzten Tropfen Benzin im Hafen von Marseille.

Die Huren von Marseille sparten für sein Benzin

Wo sich die Bordsteinschwalben seiner annahmen. Nicht sexuell. Finanziell. Das ist eine der rührendsten Passagen in „The voice of Peace“. Monatelang legten die Huren von Marseille Freiergeld zurück für die Weiterfahrt des Abie Nathan irgendwo hin in den Mittelmeerraum.

Und von da sendete er dann. Und von da aus streift Friedler durch sein Leben. Erinnert an Abies Hungerstreikaktionen, gegen den Siedlungsbau, für den Frieden. Die Israels Führung in Panik versetzte, weil keiner wollte, dass Abie Nationale hungers starb. Er erfand ständig neue Aktionen. Er spendete Spielzeug für die Kinder von Ramallah. Drückte Arafat die Hand und ging dafür ein Jahr ins Gefängnis.

Ein Charismatiker. Ein Mann, der mit der öffentlichen Wahrnehmung spielen konnte, wie die Katze mit dem Wollknäuel. Schön zum Beispiel die Geschichte, dass er, als ihn Coca-Cola nicht mit Werbung unterstützen wollte, einen Spot aufnahm, in dem er massiv für Wasser als idealen Softdrink warb, mit dem Erfolg, dass Coca-Cola irgendwann einknickte und Werbung schaltete.

Abie Nathan gründete keine Bewegung

Ein Mann aber auch, der keine Partei gründete, das zeigt Friedlers Film, der zwar den Gang der Geschichte Israel einen neuen Effet gab, es aber nicht schaffte, aus seinem Sender eine Bewegung zu machen, weil er zu verspielt, zu egoman war.

Neben den geradezu euphorischen Erinnerungen seiner Weggefährten, seiner DJs, seiner Freund und Kollegen, zeigt Friedler aber auch, wie sich Abie Nathan immer stärker in seinen eigenen Schützengräben verrennt. Wie er trotz der Erfolge dessen, was er anschiebt, allein bleibt. Es ist immer ein Stück Einsamkeit um diesen Charismatiker.

Am 1. Oktober 1993 geht die letzte Sendung von „The Voice of Peace“ on air. Dann versenkt Abie Nathan sein Schiff irgendwo im Mittelmeer. Er hat kein Geld mehr. Hat alles ins Schiff gesteckt. Dann sind die Werbeeinnahmen sind eingebrochen.

Der Frieden scheinbar erreicht, die Stimme des Friedens scheint erhört worden zu sein, „The Voice of Peace“ wird nicht mehr gebraucht. Ein katastrophaler Irrtum. Zubin Mehta läuft das Wasser aus dem Auge, als er sich an diesen Tag erinnert.

„Ich habe es versucht“

Abie Nathan lebt noch 25 Jahre lang, mehr oder weniger an der Armutsgrenze, zunehmend vergessen, von zwei Schlaganfällen zum Schweigen gebracht. Im August 2008 ist er gestorben. „Ich habe es versucht“ steht auf seinem Grabstein. Keine Straße ist nach ihm benannt, kein Platz in Israel. Friedlers Denkmal ist das mindeste, was ihm gebührt.

Und jetzt stellen wir uns den Sonnenuntergang über dem Mittelmeer vor, gerade in dem Moment des letzten Lichts. Die Eagles singen. Wie jedes Mal, wenn Abie seine Zuhörer, die in Palästina, in Israel, in Ägypten, am Strand tanzen, zum Gedenken an die Gewaltopfer aufgefordert hatte, nach den 30 Sekunden Schweigen: „I wish you peace when times are hard /A light to guide you through the dark“.

„The Voice of Peace – Der Traum des Abie Nathan“: ARD, 7. 1., 22.45 Uhr

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