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4. Juli 2012

Burschenschafter vor Gericht: „Kein Bock mehr auf Nazis“

Juristischer Bruderzwist: Burschenschafter fechten Streit vor Gericht aus. Von Erwin Eschbach, erschienen auf Spiegel Online. Showdown vor Gericht: Zwei Burschenschafter haben darum gestritten, ob der eine den anderen als „Kopf einer rechtsextremen Bewegung“ bezeichnen darf. Das Verfahren ist der bisherige Höhepunkt einer Kampagne, mit der liberalere Mitglieder gegen Neonazis in ihren Reihen vorgehen wollen.

Sein Auftritt war martialisch. Unmittelbar vor Beginn der Verhandlung kam Norbert Weidner in den Saal des Bonner Landgerichts, begleitet von einem halben Dutzend jüngerer Burschenschafter, die sich – wie Weidner auch – zum Teil mit Sonnenbrillen und Zeitungen vor dem Gesicht gegen Aufnahmen abschirmten oder versuchten, den Kameraleuten den Blick zu verstellen.

Ein bisschen verkehrte Welt

Einer hielt die rechte Postille „Junge Freiheit“ hoch, Weidner selbst hatte sich für den „Schlesier“ als Sichtschutz entschieden, Titelzeile: „Dichter, Denker, Gesamtkünstler“. Irgendwie war das alles ein bisschen verkehrte Welt: Denn normalerweise ist es der Angeklagte, der nicht fotografiert werden will. Doch hier war es der Antragsteller Weidner, Alter Herr in der umstrittenen Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn, „Schriftleiter“ der Verbandszeitung „Burschenschaftliche Blätter“ und somit einer der höchsten Burschenschafts-Funktionäre. Wie Weidners politische Einstellung genannt werden darf, auch darum geht es in dem Prozess.

Weidners Gegenspieler heißt Christian J. Becker und ist Gründer der Initiative Burschenschafter gegen Neonazis. Er bloggt über rechtsextreme Umtriebe in den Burschenschaften und erscheint zum Gerichtstermin farbentragend, aber auch mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz am Revers.

Wann darf jemand „Kopf einer rechtsextremen Bewegung“ genannt werden?

Das Pikante: Auch Becker ist ein Alter Herr der Raczeks – allerdings steht er nach eigenem Bekunden der SPD nah. Und er kämpft gegen die Unterwanderung der Burschenschaften durch Rechtsextreme. Der Streit zwischen den beiden Raczeks spiegelt den tiefen Riss wider, der sich durch den Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) zieht. Immer wieder war es in diesem Konflikt zu Eklats gekommen: erst rassistische „Arier-Anträge“ im vergangenen Jahr, dann Streit beim letzten Burschentag um Äußerungen Weidners, jetzt der Gerichtstermin.

Rund 1500 der weniger als 10.000 DB-Mitglieder, so schätzt Becker, seien rechtsextrem, „und gegen die will ich mich wehren“. Sein Instrument: das Blog QuoVadisBuxe. Dort hatte Becker Norbert Weidner als mutmaßlichen Kopf „einer rechtsextremen Bewegung“ bezeichnet, an der neben weiteren Burschenschaften auch sogenannte Freie Kameradschaften und NPD-Kader beteiligt seien. Weidner, so ein weiterer Vorwurf, strebe außerdem den Aufbau einer rechtsextremen Studentenpartei in Deutschland nach österreichischem Vorbild an. Außerdem habe Weidner Mails gehackt und sich damit auch strafrechtlich angreifbar gemacht.

„Das sind Tatsachenbehauptungen, die unzutreffend sind“, sagte Weidners Anwalt Björn Clemens. Sein Mandant äußerte sich weder im Gerichtssaal noch im Umfeld der Verhandlung. Das übernahm der Vorsitzende Richter, indem er aus der Klageschrift Weidners zitierte: „Der Antragsteller wehrt sich nicht dagegen, politisch in einer bestimmten Weise verortet zu werden.“ Insofern, deutete der Jurist an, müsse es sich Weidner wohl auch gefallen lassen, im Becker-Blog entsprechend tituliert zu werden.

Weidner hatte zuvor in mehreren Interviews und Mitteilungen den Behauptungen Beckers widersprochen. Weidner, der in seiner Jugend und als junger Erwachsener in rechtsextremen Organisationen aktiv war, die mittlerweile verboten sind, will nicht „plötzlich wieder als extrem wahrgenommen werden“, wie er vor dem Prozess SPIEGEL ONLINE mitteilte. Er sei „kein Rechtsextremist mehr“.

„Erst wollen wir die Nazis auf die Palme bringen, dann vor den Kadi“

Dass Becker seine Äußerungen unbedacht ins Netz gestellt hat, ist kaum zu vermuten. Becker leitet eine PR-Agentur, kennt sich aus mit Öffentlichkeitsarbeit. „Unser Motto ist klar: Erst wollen wir die Nazis auf die Palme bringen, dann vor den Kadi“, fasste er vor der Verhandlung fast schon fröhlich seine Strategie zusammen. Immerhin war es ihm gelungen, zum ersten Mal überhaupt interne burschenschaftliche Auseinandersetzungen in einem Gerichtsverfahren öffentlich zu machen. Wenn auch um den Preis, dass er seit Februar unter Polizeischutz steht und immer wieder anonymen Anfeindungen ausgesetzt ist.

Doch die Strategie scheint aufzugehen: Die Pressekammer des Bonner Landgerichts deutete am Mittwoch schnell an, dass sie die Rechtsextremismusvorwürfe gegen Norbert Weidner wohl als von der Meinungsfreiheit gedeckt sieht. Eine offizielle Entscheidung wurde aber noch nicht verkündet.

Lediglich beim strafrechtlich relevanten Vorwurf des Mail-Hackens müsse man noch einmal genauer in die Akten schauen – ein Hinweis, den Weidner-Anwalt Clemens nach der Verhandlung als Teilerfolg zu verkaufen suchte. Doch er wirkte dabei ganz und gar nicht zufrieden und unterstellte dem Gericht, die aktuelle Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit möglicherweise nicht richtig zu kennen.

Ob sich ein weiteres Gericht mit dem Fall beschäftigen wird, ist noch unklar. Clemens will die Urteilsverkündung am 11. Juli abwarten. Sein Mandant rauschte unterdessen stumm ab – wieder mit Zeitung vor dem Gesicht, wieder mit seinem Begleitkommando.

PR-Fachmann Becker dagegen, eigentlich der Beklagte, gab fleißig Interviews. Er habe „keinen Bock mehr auf Nazis“, dies sei nur der Anfang einer Kampagne, in der noch viele rechtsextreme Burschenschafter vor Gericht landen würden, sagte Becker. „Gleichzeitig fordern wir Behörden und Politiker wie den Burschenschafter und Minister Peter Ramsauer (CSU) auf, endlich gegen rechtsextreme Burschenschafter aktiv zu werden“, so Becker. Die „Tour gegen akademische Neonazis“ habe gerade erst begonnen.

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Oktober 2025 | Tischri-Cheschwan | « »

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So. 12.10.2025 | 20. Tischri 5786

Kultur

„Sputnik“: Lesung und Gespräch mit Christian Berkel

Beginn 17:00

Buchpräsentation
Sonntag, 12. Oktober 2025, 17 Uhr

Moderation: Günter Keil

Am 4. Oktober 1957 erreichen die ersten Satelliten die Erdumlaufbahn. Kurz darauf erblickt in Westberlin Sputnik das Licht der Welt. Er wächst auf zwischen den Geschichten seiner Mutter Sala und den Büchern seines Vaters Otto. Eine wichtige Lebensstation wird Paris, wo er nicht nur zur Schule geht, sondern Theater und Varieté für sich entdeckt. Die Rückkehr nach Deutschland fällt in eine Umbruchszeit auch der Theaterwelt der 70er Jahre. Eine wilde Phase des Experimentierens bricht an, bis Sputnik wie so viele vom Mauerfall 1989 überrollt wird. Und zu ahnen beginnt, wer er ist, oder zumindest, wer er sein könnte. In seinem dritten Roman begibt sich Christian Berkel erneut auf eine sehr persönliche Spurensuche, die bis in eine erschreckend veränderte Gegenwart führt. Weiterlesen »

Sa. 18.10.2025 | 26. Tischri 5786

Kultur

26. Lange Nacht der Museen in München

Beginn 20:30

Vortrag und Konzert
Beitrag der IKG München und Oberbayern zur Langen Nacht

Samstag, 18. Oktober 2025, 20:30–23:00 Uhr

Auf einen Blick:

Vorträge (je 30 Minuten)

  • 20:30 Uhr: Dr. Elisabeth Rees-Dessauer
  • 21:45 Uhr: Ellen Presser

21:00 und 22:15 Uhr: Konzert des Synagogenchors unter Leitung von David Rees (je 30 Minuten), Begleitung am Piano: Luisa Pertsovska Weiterlesen »

Mo. 03.11.2025 | 12. Cheschwan 5786

Kultur

Mit Dmitrij Kapitelman: „Russische Spezialitäten“

Beginn 19:00

Buchpräsentation und Gespräch
Montag, 3. November 2025, 19 Uhr

Moderation: Ellen Presser

Eine ukrainisch-jüdisch-moldawische Familie, lebt in Leipzig, wo sie russische Spezialitäten verkauft. Und zwar an Osteuropäer, die sich zwischen russischen Flusskrebsen, ukrainischem Wodka und georgischen Sonnenblumenkernen zuhause fühlen. Doch seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist nichts mehr wie zuvor. Die Mutter glaubt den Propagandasendungen des russischen Fernsehens. Ihr Sohn, der keine Sprache mehr als die russische liebt, keinen Menschen mehr als seine Mutter, keine Stadt mehr als Kyjiw, verzweifelt. Um seine Mutter zur Vernunft zu bringen, begibt er sich per Flixbus nach Kiew. Oder wie man inzwischen liest: Kyjiw, von wo er ihr die Wahrheit mitzubringen hofft. Weiterlesen »

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