Kultur
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19. Januar 2012
„Schellack-Schätzchen“: Das Ende eines Kapitels deutsch-jüdischer Schlagergeschichte
Ausgespielt, Schätzchen! – Ein Kommentar von Hanns-Georg Rodek, erschienen auf Welt Online, 2. Januar 2012. Heute um 21.05 Uhr beginnt auf WDR 4 die Sendung „Schellack-Schätzchen“. Das war am Montagabend schon immer so, seit inzwischen 36 Jahren. Das soll aber nicht mehr lange so sein. Mit der Ausgabe vom 30. Januar werden die Schätzchen gekillt – wenn es nach dem Willen von Wellenchefin Rena Pieper geht.
Nun werden ständig irgendwo irgendwelche Radiosendungen eingestellt, und um die meisten ist es überhaupt nicht schade, denn die Musik wird sowieso von einem Computer programmiert, und die fröhlich-unverbindlich-lockeren Moderatoren klingen auch wie geklont.
Das lässt sich von den „Schellack-Schätzchen“ nun gar nicht behaupten. Die Reihe wird von verschiedenen Autoren gestaltet, die sich in Handschrift, Themenwahl und Dramaturgie unterscheiden – was zunächst nach willkommener Vielfalt klingt, in der Diktatur des Formatradios jedoch eines der schlimmsten Verbrechen darstellt. Auch darf der Kollege Computer nicht das Programm bestimmen, denn er versteht zu wenig von dem, worum es geht: von der Schellack-Zeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der vor-digitalen, vor-vinylen Ära der Tonträger.
Das soll nun alles wegrasiert werden, der Jazz, der Swing, der Pop der Zwanziger und Dreißiger, die Comedian Harmonists und Leanders, Igelhoffs und Stauffers. Früher waren sie in vielen Sendungen zu hören, oft moderiert von Plattensammlern („Ich hab‘ zu Haus‘ ein Grammophon“ im NDR) – heute sind die „Schellack-Schätzchen“ die letzten ihrer Art, abgesehen von 25 Minuten „Fundstücke“ am Sonntagnachmittag im D-Radio. Mit den „Schätzchen“ würde ein halbes Jahrhundert deutscher Unterhaltungsmusik praktisch komplett aus dem Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verschwinden – so wie das deutsche Filmerbe bereits weitestgehend aus den Programmen der Fernsehsender verschwunden ist.
Ironischerweise begann die Sendung 1975 unter dem Titel „Wider das Vergessen“ – und erinnerte häufig an Künstler, die vom Naziregime verfemt, verfolgt oder ermordet wurden. Sollte sie nun abgeschafft werden, ginge ein wichtiger Teil unseres Geschichtserinnerns verloren, und Größen der deutschen Populärmusik wie Paul Abraham, Werner Richard Heymann, Walter Jurmann, die Comedian Harmonists oder Weintraubs Syncopators, welche schon die Nationalsozialisten aus deutschen Köpfen zu verbannen trachteten, gerieten so erneut in Vergessenheit.
An den Sparmaßnahmen kann es kaum liegen, liegen doch die Autorenhonorare für solche Beiträge in der Regel an der unteren Grenze der Honorarordnung. Bleibt noch das Totschlagargument der Quote. Ja, die Zahl der Interessenten für diese Musikepoche wird kleiner, und ja, im Vergleich mit der Bundesligaschlusskonferenz ist sie minimal.
Doch es muss Ausnahmen von dem starren Quotendenken geben, und in der Zukunft sogar mehr als in der Vergangenheit. Wo, wenn nicht bei den Öffentlich-Rechtlichen können Formate gepflegt werden, die nicht in das 08/15-Schema passen und nicht mit anderthalb Augen auf die Quotenprozente schielen? Ein Sender, der nur noch Melodien für ein gutes Gefühl dudelt, entzieht sich selbst die Existenzberechtigung.
Die auf der Website veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern wieder, sondern sollen einen Überblick über den öffentlichen Meinungsbildungsprozess sowie die gesellschaftliche und politische Diskussion gewährleisten.
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