Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern

Kultur

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19. Oktober 2017

Fast ein Paradies

Hans-Peter Föhrding stellte in der IKG sein Buch »Als die Juden nach Deutschland flohen« vor. Von Helmut Reister, erschienen in der Jüdischen Allgemeinen vom 19.10.2017. An ein vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte wurde in der vergangenen Woche bei einer Veranstaltung der IKG-Kulturabteilung im Gemeindezentrum erinnert. Hans-Peter Föhrding und Heinz Verfürth stellten dort ihr Buch Als die Juden nach Deutschland flohen vor.

Erinnerungen an das DP-Camp Föhrenwald © Marina Maisel

Erinnerungen an das DP-Camp Föhrenwald © Marina Maisel

 

Zusammen mit den beiden Autoren saß ein Herr auf der Bühne, Ruwen Waks, der extra aus Israel angereist war, um der Buchpräsentation beizuwohnen. Er selbst wird in dem Werk zwar auch erwähnt, doch die Hauptrolle darin spielt seine Mutter Lea, die eine jener rund 300.000 Juden war, die nach dem Krieg ausgerechnet nach Deutschland flohen, das Land der Täter.

Sie und ihre Familie lebten bis zu seiner Auflösung im Jahr 1957 im DP-Camp Föhrenwald (Wolfratshausen), der vorübergehenden »Heimat« sogenannter Displaced Persons. In seiner Erinnerung hat Ruwen »Robbi« Waks (Jahrgang 1947) an das DP-Lager im Süden Oberbayerns vor allem positive Erinnerungen: Beerensammeln im Wald, Schwimmen in der Isar, Schlittenfahren auf den beiden Hügeln. Für die »Kinder vom Föhrenwald« sei es fast paradiesisch gewesen. Wie er heute weiß, lag das auch daran, dass die Erwachsenen, auch seine Eltern, das schwere Schicksal, das gerade hinter ihnen lag und sie noch immer im Griff hatte, vor den Kindern verbargen.

Schoa-Überlebende

In ihrem akribisch recherchierten Buch haben Hans-Peter Föhrding und Heinz Verfürth sowohl die kleinen Details nicht vergessen, als auch die politischen Zusammenhänge in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die Gründe für die Flucht Hunderttausender Schoa-Überlebender ausgerechnet nach Deutschland. Antisemitische Exzesse in Osteuropa, vor allem in Polen, hatten 1946 diese Fluchtbewegung ausgelöst, und auch Lea Waks sah keinen anderen Ausweg, der erneuten Verfolgung zu entkommen.

Bei der Buchpräsentation im Gemeindezentrum machten die Autoren schnell klar, dass Deutschland keinesfalls ein »Wunschziel« gewesen ist. Den Verfolgten sei es vielmehr um den Schutz der westlichen Alliierten auf der Durchreise ins damalige Paläs- tina gegangen, doch sie mussten oft jahrelang in den DP-Lagern leben. Erst 1948, nach der Staatsgründung, hatten sich die Tore Israels geöffnet. Dennoch bestand das Lager Föhrenwald bis zum Jahr 1957.

Unter den Zuhörern, die einen kurzweiligen Abend erlebten, befanden sich auch Jacques Cohen und Josef Pultuskier, zwei Ex-Föhrenwalder. Cohen hatte sogar den Ausweis seiner Mutter aus Föhrenwald mitgebracht, und Pultuskier erinnerte sich zwar nicht mehr an »Robbi« Waks, wusste aber, dass ihre Eltern im Lager gut befreundet waren. Diese Episode war selbst für die beiden Autoren neu.

Hans-Peter Föhrding und Heinz Verfürth: »Als die Juden nach Deutschland flohen«. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017, 352 S., 24 €

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Oktober 2025 | Tischri-Cheschwan | « »

Aktuelle Veranstaltungen


So. 12.10.2025 | 20. Tischri 5786

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„Sputnik“: Lesung und Gespräch mit Christian Berkel

Beginn 17:00

Buchpräsentation
Sonntag, 12. Oktober 2025, 17 Uhr

Moderation: Günter Keil

Am 4. Oktober 1957 erreichen die ersten Satelliten die Erdumlaufbahn. Kurz darauf erblickt in Westberlin Sputnik das Licht der Welt. Er wächst auf zwischen den Geschichten seiner Mutter Sala und den Büchern seines Vaters Otto. Eine wichtige Lebensstation wird Paris, wo er nicht nur zur Schule geht, sondern Theater und Varieté für sich entdeckt. Die Rückkehr nach Deutschland fällt in eine Umbruchszeit auch der Theaterwelt der 70er Jahre. Eine wilde Phase des Experimentierens bricht an, bis Sputnik wie so viele vom Mauerfall 1989 überrollt wird. Und zu ahnen beginnt, wer er ist, oder zumindest, wer er sein könnte. In seinem dritten Roman begibt sich Christian Berkel erneut auf eine sehr persönliche Spurensuche, die bis in eine erschreckend veränderte Gegenwart führt. Weiterlesen »

Sa. 18.10.2025 | 26. Tischri 5786

Kultur

26. Lange Nacht der Museen in München

Beginn 20:30

Vortrag und Konzert
Beitrag der IKG München und Oberbayern zur Langen Nacht

Samstag, 18. Oktober 2025, 20:30–23:00 Uhr

Auf einen Blick:

Vorträge (je 30 Minuten)

  • 20:30 Uhr: Dr. Elisabeth Rees-Dessauer
  • 21:45 Uhr: Ellen Presser

21:00 und 22:15 Uhr: Konzert des Synagogenchors unter Leitung von David Rees (je 30 Minuten), Begleitung am Piano: Luisa Pertsovska Weiterlesen »

Mo. 03.11.2025 | 12. Cheschwan 5786

Kultur

Mit Dmitrij Kapitelman: „Russische Spezialitäten“

Beginn 19:00

Buchpräsentation und Gespräch
Montag, 3. November 2025, 19 Uhr

Moderation: Ellen Presser

Eine ukrainisch-jüdisch-moldawische Familie, lebt in Leipzig, wo sie russische Spezialitäten verkauft. Und zwar an Osteuropäer, die sich zwischen russischen Flusskrebsen, ukrainischem Wodka und georgischen Sonnenblumenkernen zuhause fühlen. Doch seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist nichts mehr wie zuvor. Die Mutter glaubt den Propagandasendungen des russischen Fernsehens. Ihr Sohn, der keine Sprache mehr als die russische liebt, keinen Menschen mehr als seine Mutter, keine Stadt mehr als Kyjiw, verzweifelt. Um seine Mutter zur Vernunft zu bringen, begibt er sich per Flixbus nach Kiew. Oder wie man inzwischen liest: Kyjiw, von wo er ihr die Wahrheit mitzubringen hofft. Weiterlesen »

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