Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern

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23. April 2017

Tuvia und die Flüchtlinge

Der israelisch-amerikanische Publizist stellte in der IKG sein neues Buch vor. Von Helmut reister, erschienen in der Jüdischen Allgemeinen vom 06.04.2017. Lange Wege, um sich Antworten anzunähern, geht Tuvia Tenenbom nicht. Der israelisch-amerikanische Theaterregisseur und Autor ist diesem Prinzip auch in seinem neuen Buch Allein unter Flüchtlingen (Suhrkamp-Verlag) treu geblieben.

Bestellerautor Tuvia Tenenbom. © Marina Maisel

Bestellerautor Tuvia Tenenbom. © Marina Maisel

 

Bei seiner investigativen Reise quer durch Deutschland, die ihn in Flüchtlingsheime genauso führte wie zu Treffen und Gesprächen mit Führungspersonal der rechten Szene, trieb ihn im Grunde genommen eine einzige zentrale Frage an: Warum hat Deutschland die Türen für Flüchtlinge so weit aufgemacht wie kein anderes Land?

„Willkommenskultur“ habe entscheidende Faktoren verdeckt 

Tuvia Tenenbom wundert sich vor allem darüber, dass im Anflug spontaner und schier grenzloser Willkommenskultur der Deutschen entscheidende Faktoren untergegangen seien. In den Flüchtlingsunterkünften, so seine persönlichen Erfahrungen, würden Sunniten und Schiiten, Afghanen, Iraker, Iraner, Menschen unterschiedlichster ethnischer und religiöser Herkunft, auf engstem Raum zusammenleben. »Keiner«, zieht Tenenbom Bilanz, »hat anscheinend davon gehört, dass sie sich andernorts gegenseitig umgebracht haben.«

Nach den vielen Gesprächen, die der Autor mit Befürwortern der Flüchtlingspolitik geführt hat und die in seinem Buch ihren Niederschlag gefunden haben, ist er sich auch sicher, die richtige Antwort auf seine zentrale Frage nach dem »Gutmenschentum« der Deutschen gefunden zu haben. Tenenbom verkürzt sie auf das Stichwort »Geschichte«, um es dann doch genauer zu erklären.

Die NS-Vergangenheit habe zu traumatischen Reflexen bis in die heutige Zeit geführt, ist er überzeugt. »Die Deutschen«, lautet seine genauere Erklärung, »wollen beweisen, besser als alle anderen zu sein.« Für ihn, wie er deutlich macht, ist das eine schwer verdauliche Argumentation. »Wir sind besser« sei auch das »Herrenmenschen«-Prinzip der Nazis gewesen.

Gesprächsbedarf

Die rigide Logik Tenenboms hat bei diversen Veranstaltungen seiner Schilderung zufolge schon zu bösen Anfeindungen geführt. Das blieb ihm im Gemeindezentrum erspart, aber die Diskussionen nach der Lesung (Armand Presser) und einem Podiumsgespräch (Moderation: Alexandra Surer) sorgten für erheblichen Gesprächsbedarf unter den Gästen.

Kann man es so machen wie der Autor und »die Deutschen« als solche klassifizieren, oder wäre eine Differenzierung angebracht? Ein Ziel hat Tuvia Tenenbom auf jeden Fall erreicht: Er plädiert für ein Umdenken und einen offeneren Diskurs.

Tuvia Tenenbom: »Allein unter Flüchtlingen«. Übersetzt von Michael Adrian und Bettina Engels. Suhrkamp, Berlin 2017, 234 S., 13,95 €

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So. 12.10.2025 | 20. Tischri 5786

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„Sputnik“: Lesung und Gespräch mit Christian Berkel

Beginn 17:00

Buchpräsentation
Sonntag, 12. Oktober 2025, 17 Uhr

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Am 4. Oktober 1957 erreichen die ersten Satelliten die Erdumlaufbahn. Kurz darauf erblickt in Westberlin Sputnik das Licht der Welt. Er wächst auf zwischen den Geschichten seiner Mutter Sala und den Büchern seines Vaters Otto. Eine wichtige Lebensstation wird Paris, wo er nicht nur zur Schule geht, sondern Theater und Varieté für sich entdeckt. Die Rückkehr nach Deutschland fällt in eine Umbruchszeit auch der Theaterwelt der 70er Jahre. Eine wilde Phase des Experimentierens bricht an, bis Sputnik wie so viele vom Mauerfall 1989 überrollt wird. Und zu ahnen beginnt, wer er ist, oder zumindest, wer er sein könnte. In seinem dritten Roman begibt sich Christian Berkel erneut auf eine sehr persönliche Spurensuche, die bis in eine erschreckend veränderte Gegenwart führt. Weiterlesen »

Sa. 18.10.2025 | 26. Tischri 5786

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26. Lange Nacht der Museen in München

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Vortrag und Konzert
Beitrag der IKG München und Oberbayern zur Langen Nacht

Samstag, 18. Oktober 2025, 20:30–23:00 Uhr

Auf einen Blick:

Vorträge (je 30 Minuten)

  • 20:30 Uhr: Dr. Elisabeth Rees-Dessauer
  • 21:45 Uhr: Ellen Presser

21:00 und 22:15 Uhr: Konzert des Synagogenchors unter Leitung von David Rees (je 30 Minuten), Begleitung am Piano: Luisa Pertsovska Weiterlesen »

Mo. 03.11.2025 | 12. Cheschwan 5786

Kultur

Mit Dmitrij Kapitelman: „Russische Spezialitäten“

Beginn 19:00

Buchpräsentation und Gespräch
Montag, 3. November 2025, 19 Uhr

Moderation: Ellen Presser

Eine ukrainisch-jüdisch-moldawische Familie, lebt in Leipzig, wo sie russische Spezialitäten verkauft. Und zwar an Osteuropäer, die sich zwischen russischen Flusskrebsen, ukrainischem Wodka und georgischen Sonnenblumenkernen zuhause fühlen. Doch seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist nichts mehr wie zuvor. Die Mutter glaubt den Propagandasendungen des russischen Fernsehens. Ihr Sohn, der keine Sprache mehr als die russische liebt, keinen Menschen mehr als seine Mutter, keine Stadt mehr als Kyjiw, verzweifelt. Um seine Mutter zur Vernunft zu bringen, begibt er sich per Flixbus nach Kiew. Oder wie man inzwischen liest: Kyjiw, von wo er ihr die Wahrheit mitzubringen hofft. Weiterlesen »

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