Nachrichten
« Zurück
15. Dezember 2016
Abschied von einer Freundin
Charlotte Knobloch zum Tod der Politikerin Hildegard Hamm-Brücher. Von Helmut Reister, erschienen in der Jüdischen Allgemeinen, 15.12.2016. Mit tiefer Anteilnahme hat Charlotte Knobloch auf den Tod von Hildegard Hamm-Brücher reagiert. Die »Grande Dame« der Nachkriegszeit, die über Jahrzehnte die Politik der FDP und der Bundesrepublik Deutschland prägte, starb in der vergangenen Woche im Alter von 95 Jahren in München.

Charlotte Knobloch mit Hildegard Hamm-Brücher (r.): »Der Kampf für Freiheit und Demokratie prägte nicht nur ihre politische Laufbahn, sondern ihr ganzes Leben.« © Marina Maisel
»Die jüdische Gemeinschaft in München, Bayern und Deutschland trauert um eine wahre Freundin, ich trauere um eine Mitstreiterin im Kampf für unsere Demokratie und persönliche Vertraute, die ich für ihre Aufrichtigkeit, Eleganz und klare Haltung immer besonders geschätzt und bewundert habe«, erklärte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.
Integrität
Mit ihrem Lebensweg und ihrer politischen Laufbahn, mit ihrer unbestechlichen Haltung und Integrität bleibe Hildegard Hamm-Brücher ein Vorbild für gelebtes Geschichts- und Verantwortungsbewusstsein, schrieb die IKG-Präsidentin in ihrem Nachruf.
»Vor dem Hintergrund ihrer eigenen bitteren Erfahrung im NS-Regime hat sie stets für eine freiheitliche und gerechte Gesellschaft eingesetzt. Der Kampf für Freiheit und Demokratie prägte nicht nur ihre politische Laufbahn, sondern ihr ganzes Leben«, charakterisierte Charlotte Knobloch den elementaren Wesenszug der verstorbenen Politikerin.
Hildegard Hamm-Brücher gehörte einer Politikergeneration an, die heute kaum mehr zu finden ist. Sie wurde 1921 in Essen geboren und wuchs in Berlin auf. Im Alter von zehn Jahren verlor sie ihre Eltern und lebte bei ihrer Großmutter in Dresden.
Mit 15 Jahren erfuhr sie, dass sie nach den Rassegesetzen der Nazis eine »Halbjüdin« sei und wechselte auf das Internat Schloss Salem an den Bodensee, machte in Konstanz Abitur und studierte danach Chemie. »Wie grässlich die Deutschen waren, kriegt man nicht mehr aus dem Kopf und dem Herzen«, sagte sie später über die Zeit des Nationalsozialismus.
FDP 1948 zog sie für die FDP als jüngste Stadträtin in das Münchner Stadtparlament ein, wenige Jahre später als Abgeordnete in den Bayerischen Landtag. Charakteristisch für Rang und Ruf der aufsteigenden Politikerin war ihre Wiederwahl 1962 in den Landtag.
Die Mächtigen ihrer Partei hielten sie für zu klug, zu aufrichtig und waren mitunter genervt. Sie wurde deshalb auf den eigentlich hoffnungslosen Listenplatz 17 verbannt – und landete am Ende auf Platz 1. Später wurde sie Bundestagsabgeordnete und Staatsministerin im Auswärtigen Amt unter Hans-Dietrich Genscher. 1994 kandidierte sie für das Bundespräsidentenamt und wurde im dritten Wahlgang von der eigenen Partei dem Machtkalkül geopfert. Staatsoberhaupt wurde Roman Herzog.
Machtspiel
Schon zwölf Jahre zuvor, 1982, als sich die FDP während der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt auf die Seite der Union schlug und Helmut Kohl mithilfe eines Misstrauensvotums zum Bundeskanzler wurde, gehörte Hildegard Hamm-Brücher zu den wenigen Abgeordneten der FDP, die bei diesem Machtspiel nicht mitmachten.
»Hildegard Hamm-Brücher«, sagt IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch, »hat nicht vergessen, zu welcher Grausamkeit Menschen in der Lage sind. Daraus hat sie Konsequenzen für ihr Leben gezogen und Antisemitismus mit Entschlossenheit bekämpft – selbst um den Preis des Austritts aus der eigenen Partei, die ihr über 50 Jahre lang politische Heimat gewesen war. Als große Liberale ist sie sich treu geblieben, und sie ist den Grundwerten unseres Landes treu geblieben. Das ist ihr Vermächtnis und ihr Auftrag an uns alle – gerade in dieser Zeit.« Auslöser dafür, dass die Politikerin 2002 ihr Parteibuch zurückgab, waren antiisraelische Äußerungen des inzwischen verstorbenen Partei-Vizes Jürgen Möllemann. »Ich bin Liberale, aber keine Möllemann-Liberale«, erklärte sie damals. Für ihre Kompromisslosigkeit und nicht diskutierbare Liberalität wurde sie bewundert, aber auch oft aus den eigenen Reihen scharf kritisiert.
Von gesundheitlichen Problemen in den vergangenen zwei Jahren hatte sie anlässlich ihres 95. Geburtstages im Mai berichtet. Doch obwohl ihr die Folgen von zwei Oberschenkelhalsbrüchen zu schaffen machten, verfolgte sie das politische Geschehen mit großer Aufmerksamkeit und verlor nie ihre klare Haltung.
Bis zuletzt lebte Hildegard Hamm-Brücher in ihrem Haus im Süden Münchens. Wie der bayerische Landesverband der Liberalen mitteilte, starb sie dort am 7. Dezember.
Beerdigung
Die Trauerfeier für die verstorbene Politikerin, zu der viele Weggefährten, Freunde und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens erwartet werden, findet am Montag, 19. Dezember, um 10.30 Uhr in der St.-Lukas-Kirche in München statt. Für die Trauerfeier hat auch Bundespräsident Joachim Gauck sein Kommen angekündigt.
VeranstaltungenÜberblick »
November 2025 | Cheschwan-Kislew
- So
- Mo
- Di
- Mi
- Do
- Fr
- Sa
- 1
- 2
- 3
- 4
- 5
- 6
- 7
- 8
- 9
- 10
- 11
- 12
- 13
- 14
- 15
- 16
- 17
- 18
- 19
- 20
- 21
- 22
- 23
- 24
- 25
- 26
- 27
- 28
- 29
- 30
Aktuelle Veranstaltungen
Do. 27.11.2025 | 7. Kislew 5786
Kultur
„Jiddish-Soulfood“: Von Tango bis Jazz, von Damals bis Jetzt – mit Sharon Brauner
Beginn 19:00Konzert
Donnerstag, 27. November 2025, 19 Uhr
Sharon Brauner singt Lieder in Jiddisch und von jüdischen Komponisten.
Piano-Begleitung: Harry Ermer
Die Berlinerin Sängerin und Schauspielerin beschäftigt sich seit langem mit jiddischer Kultur und der dazugehörigen Musik. Diese findet sich auch in Kompositionen und Texten der Moderne. Ob in alter und neuer Heimat oder im Exil, diese Kunst im 20. Jahrhundert wäre ohne den Einfluss jüdischer Komponisten und Interpreten nicht vorstellbar. Die Melodien stammen aus dem Schtetl in Polen, aber auch aus Berlin, Wien, Moskau sowie Tel Aviv, und prägten Kompositionen ebenso am Broadway in New York, Miami, Hollywood und in Buenos Aires. Weiterlesen »
So. 30.11.2025 | 10. Kislew 5786
Kultur
„Das Sterben der Demokratie“: Ein Abend mit Richard C. Schneider und Peter R. Neumann
Beginn 18:00Buchpräsentation und Gespräch
Sonntag, 30. November 2025, 18 Uhr
Moderation: Shahrzad Eden Osterer (Bayerischer Rundfunk)
Weltweit gewinnen Rechtspopulisten massiv an Unterstützung und gefährden die liberale Demokratie. Peter R. Neumann, einer der international renommiertesten Extremismus-Experten, und der vielfach ausgezeichnete Journalist und Dokumentarfilmer Richard C. Schneider haben sich unter anderem in Ungarn, Frankreich, den Niederlanden, Italien und den USA umgesehen. Ihre augenöffnende Recherche (Rowohlt Berlin) zeigt wie unter einem Brennglas, welcher Gefahr Deutschland gegenübersteht. Weiterlesen »
Mi. 03.12.2025 | 13. Kislew 5786
Kultur
„Vom Überleben ins Leben“: Eine jüdische Biografie im München der Nachkriegszeit mit Roman Haller
Beginn 19:00Buchpräsentation und Gespräch
Mittwoch, 3. Dezember 2025, 19 Uhr
Vorstellung der Autobiografie von Roman Haller
Moderation: Shahrzad Osterer (BR)
Roman Haller erzählt von seiner Geburt 1944 in einem Waldversteck in Polen, vom Aufwachsen in Deutschland, einem Land, das seine Eltern ermordet hätte, wenn es ihrer in der NS-Zeit habhaft geworden wäre, vom jüdischen Alltag zwischen Schwarzmarkt und Schulbank, Davidstern und Lederhose. Mit Humor schildert er, wie das Leben trotz allem weiterging und wie er seinen Platz im München der Nachkriegszeit fand. Weiterlesen »
Israelitische Kultusgemeinde
München und Oberbayern K.d.ö.R.
St.-Jakobs-Platz 18
80331 München
Tel: +49 (0)89 20 24 00 -100
Fax: +49 (0)89 20 24 00 -170
E-Mail: empfang@ikg-m.de
