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2. Juni 2016

Ausstellungen: Bier ist unser Wein

Zwei neue Ausstellungen am Jakobsplatz widmen sich der jüdischen Geschichte des Getränks. Von Helmut Reister, erschienen in der Jüdischen Allgemeinen vom 2.6.2016. Die meisten Brauereien gibt es in Oberfranken, im Norden Bayerns zwischen Bamberg und Hof. Mit diesem von der Statistik hervorgerufenen Kratzer am Image muss sich München, die »Welthauptstadt des Bieres«, zähneknirschend abfinden.

Markenzeichen vieler Brauereien: der sogenannte Brauerstern, der womöglich dem Magen David nachempfunden ist. © Marina Maisel

Aber es gibt keine andere Großstadt auf der Welt, in der die Bierkultur über Jahrhunderte hinweg so präsent ist wie in der bayerischen Landeshauptstadt. Und jüdische Geschäftsleute haben einen entscheidenden Anteil daran, dass das Braugewerbe zu einem der bedeutendsten Industriezweige wurde – und München zu einer globalen Biermacht.

Nun erzählen zwei aufeinander abgestimmte und noch das ganze Jahr über gezeigte Ausstellungen von der Geschichte des Biers. Der Gesamtkomplex mit einer Vielzahl von Original-Utensilien aus der Braugeschichte Münchens wird im Stadtmuseum gezeigt, die spezifisch jüdischen Aspekte (»Bier ist der Wein dieses Landes«) gleich schräg gegenüber im Jüdischen Museum, ebenfalls auf dem Jakobsplatz. Den Zeitpunkt für die bemerkenswert informativen und kurzweiligen Ausstellungen schrieb die Geschichte vor: Das bayerische Reinheitsgebot wurde vor genau 500 Jahren erfunden.

Bier im Talmud?!

5000 Jahre alt sind die Überreste einer ägyptischen Brauerei, die im vergangenen Jahr im Stadtzentrum von Tel Aviv gefunden wurde. Die Israeliten selbst lernten das Bierbrauen vor 3000 Jahren unter ägyptischer Knechtschaft kennen. Seitdem ist es im Judentum auch immer wieder Gegenstand von Betrachtungen und Disputen, die ihren Niederschlag nicht zuletzt im Talmud fanden. In der Ausstellung des Jüdischen Museums werden auch diese historisch weit zurückliegenden Aspekte der Biergeschichte beleuchtet.

Zu sehen sind auch Bierkrüge, Gasthausschilder und Markenzeichen von Brauereien, die den sechszackigen Brauerstern tragen. Wie das Hexagramm zu einem der Symbole der Bierbrauer wurde, ist nicht eindeutig geklärt, aber er breitete sich im Hochmittelalter gleichzeitig mit dem Davidstern aus. In der Ausstellung erfährt man, dass der Brauerstern, der im Mittelalter am Haus befestigt wurde und auf Bierausschank hinwies, in den vergangenen Jahren in vielen kleinen Wirtshäusern in der Oberpfalz eine Renaissance feiert.

Natürlich tauchen in den Ausstellungen auch die vielen Namen auf, die München und Bier untrennbar verbinden und zu einer gemeinsamen Weltmarke machten. Moritz Guggenberger (1825–1902) ist einer davon. Der jüdische Unternehmer war Aufsichtsratsvorsitzender der Löwenbräu AG und erkannte frühzeitig das Potenzial des ständig wachsenden Eisenbahnnetzes, das die Handelsstrukturen in Deutschland stark veränderte und Güterzüge zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor machte. Löwenbräu nutzte die neuen Verkehrswege und wurde so zum größten Bierexporteur Münchens.

Flucht nach Amerika

Als die Nazis in den 30er-Jahren die Macht übernahmen, spielten derartige Verdienste keine Rolle mehr, wohl aber die Herkunft. Hermann Schülein zum Beispiel war zu dieser Zeit Generaldirektor der Löwenbräu, musste seinen Platz im Unternehmen räumen und flüchtete in die USA. Seine Erfolgsgeschichte, die in der Ausstellung ausführlich dokumentiert wird, hängt eng mit Samuel Liebmann (1799–1872) zusammen, der in der Gaststätte seines Schwagers in München-Aufhausen auf den Geschmack kam, das Bierbrauen zum Geschäft machte, nach Amerika auswanderte und in Brooklyn die »S. Liebmann Brewery« gründete.

1937 wurde der vor den Nazis aus München geflohene Hermann Schülein Direktor der amerikanischen Brauerei. Er kreierte das »Rheingold Extra Dry«. Das Bier genoss 20 Jahre lang Kultstatus an der gesamten amerikanischen Ostküste und verkörperte auch ein Stück Lebensgefühl. Unter der Leitung des Münchner Brauexperten wurde die »S. Liebmann Brewery« zu einer der größten amerikanischen Brauereien überhaupt, er führte für die damalige Zeit modernste Werbemethoden ein, setzte auf Film- und Bühnenstars. Sogar eine »Miss Rheingold«, wie die Ausstellung erzählt, ließ er damals wählen.

Im Stadtmuseum wird die Geschichte aller derzeit sechs bestehenden Großbrauereien Münchens beschrieben: Hacker-Pschorr, Löwenbräu, Hofbräu, Augustiner Bräu, Spaten Bräu und Paulaner. Aber auch die kleinen Randnotizen der städtischen Bierkultur werden nicht vergessen – zum Beispiel, dass seit einigen Jahren wieder neues Bier in der Landeshauptstadt entsteht. Eine sogenannte re-evolution lässt vergessene Bierformen wieder aufkommen und bringt so unbekannte Bierstile nach München.

Bierexperimente in Israel 

Geprägt wird das Bild Münchens aber noch weitgehend vom traditionellen Biergenuss. Oktoberfest und Hofbräuhaus liefern dazu weltweit die passenden Stichwörter– und die vielen Biergärten, von denen sowohl Münchner als auch Touristen schwärmen. Hin und wieder wird sogar IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch schwach. »Ganz ohne Bier«, sagt sie mit einem erkennbaren Schmunzeln, »geht es in München einfach nicht.«

Mittlerweile ist das auch in Israel so. Im Jüdischen Museum erfahren die Besucher der Schau, dass der Markt bis vor wenigen Jahren von zwei nationalen Bier- und wenigen Exportmarken beherrscht wurde. Seit der Jahrtausendwende behaupten sich aber auch bayerische Brauereien wie Paulaner und Weihenstephaner erfolgreich auf dem israelischen Markt. Dort wollen inzwischen auch kleine Mikrobrauereien mit eigenen Biermarken mitmischen, 30 solcher Betriebe gibt es bereits.

Von der Wüste Negev bis nach Haifa, von Tel Aviv bis zum Golan experimentieren junge Brauer nicht nur mit Hopfen und Malz. Sie verwenden beim Brauen auch Zutaten wie Datteln, Chilischoten, Granatäpfel und sogar Olivenholzstücke und Tabakblätter. Warum auch nicht? In Israel gilt das bayerische Reinheitsgebot bekanntlich nicht.

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