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13. März 2016

Knobloch: „Erfolg der rechtsradikalen Populisten ist Gefahr für politische Kultur und demokratische Verfasstheit unseres Landes“

Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt ist die rechtspopulistische AfD aus dem Stand mit zweistelligen Stimmenanteilen als dritt- bzw. zweitstärkste Kraft in die Parlamente eingezogen. Dieser massive Rechtsruck in unserem Land gibt Anlass zu großer Sorge. Wenn Wählerinnen und Wähler in so enormem Ausmaß dem Ruf von Rechtspopulisten und -extremisten folgen, liegt ein Versagen der demokratischen Parteien vor.

Mit diesem Wahlergebnis nisten sich in drei weiteren Landesparlamenten radikal rechte Kräfte in erheblicher Fraktionsstärke in den Landtagen ein. Die AfD hat sich bewusst jenseits der Grenzen des freiheitlich-demokratischen Spektrums begeben. Der Restbestand seriöser Vertreter distanziert sich nicht konsequent vom neuen AfD-Profil, das nationalistisch, völkisch-rassistisch, auch antisemitisch und system-umwälzend, kurzum: brandgefährlich ist. Billigend hat sich die Partei zum politischen Arm der rechtsextremen Pegida-Bewegung entwickelt. Je nach Region finden sich spätestens auf ihren hinteren Listenplätzen Gestalten von ganz rechts außen, darunter ehemalige NPD-Mitglieder, Neonazis.

„Unser Land darf sich nicht verändern!“ Mit dieser Forderung habe ich im vergangenen Jahr darum geworben, bei der Eingliederung der Flüchtlinge die Integration in unsere westliche, freiheitlich-demokratische Wertordnung in den Mittelpunkt zu stellen. Zu einem aufgeklärten, geläuterten Patriotismus, den ich von wehrhaften Demokraten fordere, gehört aber auch, dass die rechtsradikalen und deutsch-nationalistischen Tendenzen im Keim erstickt werden. Insofern ist der heutige Tag zudem vor dem Hintergrund der immensen Zunahme rechtsextremer und antisemitischer Gewaltexzesse in Deutschland ein gravierender Einschnitt. Die Signale stehen auf Rot! Aggressive Rhetorik, Hass und Menschenverachtung vergiften unsere gewachsene politische Kultur. Digitale Verrohung führt zu analoger Enthemmung, verbale Hetze provoziert tatsächliche Gewalt. Die radikalen Ideologien gefährden die demokratische Verfasstheit unseres Landes.

Mit dem heutigen Votum sollte sicher auch Protest zum Ausdruck kommen – de facto hat sich jedoch ein nennenswerter Anteil der Bürgerinnen und Bürger aus unserer Mitte bewusst dazu entschieden, rechtsradikal zu wählen. In Sachsen-Anhalt reüssiert auch die NDP. Schon bei den Kommunalwahlen in Hessen erlebten die voreilig totgesagten NPD und Republikaner dort eine Renaissance, wo die AfD nicht antrat. Das ist ein Alarmzeichen, vor dem niemand in Politik und Gesellschaft die Augen verschließen darf. Die demokratischen Parteien, zumal die Volksparteien müssen endlich ihrer politischen Verantwortung gerecht werden, eben gerade den Unzufriedenen, Besorgten, Verunsicherten und Verängstigten das Gefühl von Verständnis, Halt und Handlungsfähigkeit zu vermitteln. Das ist aktuell augenscheinlich nicht in ausreichendem Maße der Fall, anders ist nicht zu erklären, dass es auch bislang nicht dem rechten Spektrum zuzuordnende Bürger, derart zahlreich in die Fänge der Demagogen treibt. Wenn in der Reaktion auf die politische Erosion dieses Wahltags die demokratischen Parteien, speziell die Volksparteien, weiterhin abwiegeln und Phrasen liefern anstatt Lösungen und geschlossenes parteiübergreifendes Handeln, droht ein tiefgreifender Stimmungswandel in unserem Land, der nicht gut ist für unsere Demokratie.

Die zweistelligen Ergebnisse einer rechtsradikalen Partei, die jetzt in acht Landtagen vertreten ist, spiegeln ein Bild von unserer Republik, das ich mir vor wenigen Jahren nicht hätte vorstellen können. Wir müssen ehrlich, ernsthaft und nachhaltig über den Zustand unserer Demokratie und unserer Gesellschaft diskutieren – über den Umgang mit unserer Vergangenheit und über den Umgang mit unserer Gegenwart, über die Lehren die wir aus gestern und heute für morgen ziehen, wer ‚wir‘ sind, wer ‚das Volk‘ ist und wer ‚wir‘ in Zukunft sein wollen. Das entscheidet sich jetzt. Wenn die Demokraten nicht die Weichen stellen, werden es die Anti-Demokraten tun – mit unabsehbar verheerenden Folgen.

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