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24. Mai 2011

Lieber Bob Dylan …

Zu dessen 70. Geburtstag schreibt Autor Frank Schmiechen auf Welt Online einen Brief an Bob Dylan.

… Millionen haben Dich bewundert, haben Deine Musik aufgesogen und über Deine perfekte Lyrik gestaunt. Wie fühlt sich das eigentlich an, wenn man in seinem Popstarleben alles richtig gemacht hat? Wenn eigentlich niemand behaupten kann, dass dieser Dylan zu gar nichts taugt, einen schlechten Job gemacht hat und sowieso überhaupt völlig irrelevant ist? Wenn jeder, der zu Deinem 70. Geburtstag den Griffel in die Hand nimmt, um etwas zu schreiben, sich wie eine blinde, taube und stumme Ameise fühlt, die zum hell scheinenden Mond aufblickt? Es ist wahrscheinlich leichter, über Gott zu schreiben als über Dich, Bob.

Ist es das, was Du gewollt hast? Als junger Mann bist Du ins Künstlerviertel Greenwich Village nach New York gekommen. Hast Deine Umgebung in Dich aufgesogen wie ein Schwamm. Die Musik und Songs Deiner väterlichen Freunde klangen gegen Deinen Sound plötzlich flach und lahm. Du hast ihre Platten gehört und geklaut – und ein paar Wochen später hast Du sie in der Disziplin „eigensinniger Folksänger“ von der Bühne gefegt.

Sie haben Dich in ihren Wohnungen schlafen lassen, sie haben Dich auf ihren Bühnen singen lassen, sie haben Dich ihren schönen Frauen vorgestellt, sie haben Dir ihre Gitarren geliehen. Und zum Dank hast Du ihnen ihre eigene Mittelmäßigkeit vor Augen geführt und bist dann alleine weitergezogen. Wo andere schon Probleme hatten, drei anständige Strophen für ihre Songs zu schreiben, hast Du 20 Strophen für einen einzigen Song geschrieben. Wie in Stein gemeißelt. Als ob Du sie einfach nur aus dem blauen Himmel abgeschrieben hättest. Als ob sie Dir von einer geheimnisvollen Stimme ins Ohr diktiert worden wären, die nur Du hören kannst.

Einmal ist genug. Gespielt ist gespielt. Gesungen ist gesungen. Und für immer gültig

Ein junger Mann, gerade 20 Jahre alt. Und seine Auftritte und Lieder wirken so unglaublich sicher. Jedes Wort ist an der richtigen Stelle. Jeder Ton. Nichts kann verändert werden, ohne dass alles schwächer wird. Dazu ein fast unbewegtes Gesicht. Fast keine Mimik. Keine Floskeln. Keine Spur von Freundlichkeit. Drei Akkorde, eine gnadenlose Mundharmonika und diese merkwürdige, verstellte Stimme, mit der Du meilenweit an den richtigen Tönen vorbei singst. Im Tonstudio gibst Du vom ersten Tag an den Ton an. Bei den Aufnahmen für Deine erste Platte bittet Dich der Produzent, ein Lied noch einmal zu singen. Doch das lehnst Du ab. Einmal ist genug. Gespielt ist gespielt. Gesungen ist gesungen. Und für immer gültig.

[…]

Wenn wir etwas von Dir lernen können, Bob, dann wohl eines: Wir müssen uns verändern, wenn wir wirklich leben wollen. Wir müssen uns häuten, öfter mal in ein neues Leben schlüpfen. Auch wenn es wehtut. Wir müssen aus unseren Fehlern lernen und uns ändern. Auch wenn es unsere Umgebung überrascht und sie enttäuscht zurückbleibt. Und wenn wir nicht die Kraft und den Mut dazu haben, dann lassen wir das einfach von Dir erledigen. Wir hören Deine Platten, verzweifeln an Deinen unfassbaren Texten, wundern uns über Deine Wandlungen, hören Deine Bob-Dylan-Stimme, spüren Deinen ewigen Atem, der Deine Bob-Dylan-Mundharmonika durchströmt und wünschen uns, dass Du noch ein paar Jahre bei uns bleibst. Tu es für uns, Bob!

Lesen Sie den ganzen Brief unter welt.de.

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