Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern

Nachrichten

« Zurück

17. April 2013

Margaret Thatcher als Retterin

Erschienen auf tachles Online, 17.4.2013. Wenn am heutigen Mittwoch der Trauergottesdienst für Margaret Thatcher in der Londoner St. Paul´s Kathedrale stattfindet, dürfte eine Teilnehmerin der «eisernen Lady» ganz besonders für eine Episode aus deren Kindheit dankbar sein. Diese ist weithin unbekannt. Dabei hat die britische Premierministerin der Jahre von 1979 bis 1990 mehrfach erklärt, sie sei am meisten nicht auf den Sieg im Falkland-Krieg oder ihre Rolle bei der Auflösung des Sowjetimperiums stolz. Als ihre grösste Errungenschaft hat Thatcher die Rettung des jüdischen Mädchens Edith Mühlbauer aus Wien betrachtet.

Die 17-Jährige Wienerin war eine Brieffreundin von Muriel Roberts, der älteren Schwester Margarets. Nach dem «Anschluss» Österreichs an Nazi-Deutschland im März 1938 sandte Edith ihrer Freundin einen Hilferuf und fragte, ob sie ihr bei der Flucht aus Wien helfen könne. Dabei verfügte die damals in der Kleinstadt Grantham lebende Familie Roberts weder über Einfluss noch Geld. Vater Alfred Roberts betrieb zwei Lebensmittelgeschäfte. Aber immerhin war Roberts Mitglied bei den Rotariern.

So mobilisierten Muriel und die damals 12-jährige Margaret nicht nur die Eltern, sondern auch andere Rotarier-Familien und brachten tatsächlich die Mittel zusammen, um Edith die Einreise nach England zu ermöglichen. Die Wienerin wohnte danach zwei Jahre bei den Roberts und den übrigen Rotariern in Grantham, ehe sie nach Südamerika zu dort lebenden Verwandten ausreisen konnte.

In ihren Memoiren beschreibt Thatcher das Flüchtlingsmädchen als „gross, schön und offensichtlich aus einer wohlhabenden Familie stammend. Am wichtigsten aber war, was sie uns über ihr Leben als Jüdin unter einem antisemitischen Regime erzählt hat. Ich erinnere mich besonders daran, dass sie uns gesagt hat: Die Juden mussten die Strassen schrubben.“

Edith Mühlbauer hat später in Brasilien gelebt und wurde dort 1995 von britischen Medien kontaktiert. Die Wienerin war damals bereits eine Grossmutter und hat ihren Kindern und Enkeln oft gesagt, sie verdanke Thatcher ihr Leben. Diese erklärte der Presse damals, man dürfe keinesfalls zögern, wenn man einen Mitmenschen retten könne.

Die jugendliche Heldentat Thatchers wirft auch ein Schlaglicht auf die britische Gesellschaft der Vorkriegszeit. Offensichtlich war den Roberts als Mitglieder der aufstrebenden, unteren Mittelschicht der weitverbreitete Dünkel traditioneller, konservativen Eliten aus der britischen Oberschicht fremd, zu dem häufig auch eine habituelle Abneigung gegen Juden zählte.

Laut einem brasilianischen Pressebericht ist Edith Mühlbauer im Jahr 2005 verstorben. Der Bericht zeigt ein Foto der erwachsenen Mühlbauer. Ihr Tochter Betina Nokleby will jedoch an der heutigen Beerdigungsfeier Thatchers teilnehmen.

Alle Beiträge der Kategorie Nachrichten ansehen »

VeranstaltungenÜberblick »

Aktuelle Veranstaltungen


Mi. 19.06.2024 | 13. Siwan 5784

Kultur

Moses Mendelssohn, Gotthold Ephraim Lessing, Immanuel Kant und die Erziehung des Menschengeschlechts

Beginn 19:00

Vortrag von R. Prof. emer. Dr. Dr. h.c. Daniel Krochmalnik
Ein Beitrag der Reihe „Die Umkehr des Denkens. 300 Jahre Immanuel Kant“

Mittwoch, 19. Juni 2024, 19 Uhr

Anfang der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts erscheinen in dichter Folge drei grundlegende Texte: „Die Erziehung des Menschengeschlechts“ von Gotthold Ephraim Lessing (1780), „Jerusalem oder Religiöse Macht und Judentum“ von Moses Mendelssohn (1783) und „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ von Immanuel Kant (1784). Darin behandelt das Dreigestirn der deutschen Aufklärung das Problem des Fortschritts der Menschheit. Lessing ist davon überzeugt, Mendelssohn ist skeptisch, Kant formuliert die Bedingungen der Möglichkeit. Die Verfasser nehmen auch Bezug aufeinander und ihr kontroverses Gespräch ist für die Geschichtsphilosophie bis heute von grundlegender Bedeutung. Weiterlesen »

Mi. 26.06.2024 | 20. Siwan 5784

Kultur

„Was habe ich mit Juden gemeinsam?“ – Franz Kafkas Identitäten

Beginn 19:00

Reiner Stach in Zwiesprache mit Franz Kafka
Ein Beitrag zum 100. Todestag von Franz Kafka (1883 – 1924)

Mittwoch, 26. Juni 2024, 19 Uhr

Kafkas Werke beschreiben eine Welt, in der nichts verlässlich ist, in der sich Ordnung immerzu auflöst und das Vertrauteste plötzlich fremd werden kann. Wir wissen heute, dass dies keine Vision war, sondern gelebte Erfahrung. Kafka wuchs auf in einem Spannungsfeld zwischen Deutschen und Tschechen, zwischen orthodoxem, liberalem und zionistisch gesinntem Judentum, in dem die Frage der Identität fortwährend neu verhandelt wurde. Hinzu trat eine unglückliche familiäre Konstellation, die Kafka in die Rolle eines sozialen Zaungasts drängte. Gibt es überhaupt eine menschliche Gemeinschaft, so fragte er sich, zu der ich im tiefsten Sinn des Wortes „gehöre“? Weiterlesen »

Alle Veranstaltungen »

Israelitische Kultusgemeinde
Kontakt
Israelitische Kultusgemeinde
München und Oberbayern K.d.ö.R.
St.-Jakobs-Platz 18
80331 München
Tel: +49 (0)89 20 24 00 -100
Fax: +49 (0)89 20 24 00 -170
E-Mail: empfang@ikg-m.de