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18. Februar 2013
„Totaler Krieg“: Wie Goebbels seine diabolische Rede inszenierte
Von Sven Felix Kellerhoff, erschienen auf Die Welt Online, 18.2.2013. „Wollt ihr den totalen Krieg?“ Vor 70 Jahren brüllte Hitlers Propagandaminister seine berüchtigte Frage in den Berliner Sportpalast. Die Ansprache war ein rhetorisches Meisterstück.
Ein echter Coup will gut vorbereitet sein. Vor allem, wenn er in aller Öffentlichkeit stattfinden soll. Mitte Februar 1943 wusste Joseph Goebbels, dass er in Kürze seine wichtigste Rede würde halten müssen.
In Stalingrad war die 6. Armee untergegangen, was die Stimmung in Deutschland auf einen seit 1939 nie gekannten Tiefpunkt gebracht hatte. Auch die unmittelbare Zukunft versprach keine guten Nachrichten: Auf dem Kriegsschauplatz in Nordafrika gerieten Erwin Rommels Panzer weiter unter Druck, und immer mehr litten Deutschlands Großstädte unter den vernichtenden Bombardements der Alliierten.
Hitler aber verweigerte sich Goebbels‘ Idee, einen umfassenden Befreiungsschlag zu wagen. Dazu sollte einerseits der Aufruf an die „Ostvölker“ gehören, an Deutschlands Seite den Kampf gegen die „Bestie Stalin“ aufzunehmen, andererseits wollte der Propagandaminister die Mobilisierung der gesamten deutschen Gesellschaft für den Krieg. Doch die meisten Deutschen erinnerten sich noch an entsprechende Aufrufe 1916, die in die Niederlage zwei Jahre später gemündet waren.
Dieses Risiko wollte Hitler jedenfalls nicht persönlich eingehen. Der „Führer“ entschied, seine nächste öffentliche Ansprache erst zu halten, wenn die sowjetische Stadt Charkow wieder erobert sein würde und damit eine „Wende“ an der Ostfront greifbar erschien. Also musste Goebbels die Stimmung im Lande umdrehen.
Ein sorgfältig gesiebtes Publikum
Am Nachmittag des 14. Februar 1943 diktierte der Propagandaminister den ersten Entwurf der Rede. Sie musste sein Meisterstück werden und gilt bis heute als die berüchtigtste seiner vielen Ansprachen. Ungewöhnlich intensiv überarbeitete er immer wieder den Text, bis in die frühen Morgenstunden des 18. Februar – den Tag, für den er ein sorgfältig gesiebtes Publikum in den Berliner Sportpalast befohlen hatte.
Einige „zu scharfe Stellen“ milderte Goebbels noch ab, und er ließ die außenpolitischen Passagen sogar von den Diplomaten der Wilhelmstraße durchsehen. Nichts sollte schiefgehen bei dieser Rede.
„Am Nachmittag um fünf Uhr findet nun die lange erwartete Sportpalastversammlung statt“, hielt er am Donnerstag fest: „Der Besuch ist überwältigend; schon um halb fünf Uhr muss der Sportpalast wegen Überfüllung gesperrt werden.“ Am Rang der großen Halle hing ein gewaltiges Spruchband mit der Aufschrift: „Totaler Krieg – kürzester Krieg“.
Im Publikum saßen auch seine Frau Magda und die beiden ältesten Töchter der Familie Goebbels, Helga und Hilde. Albert Speer war dabei, der Rüstungsminister, dessen Aufgabe die Umsetzung des „totalen Krieges“ vor allem sein würde.
„Der große Alarmruf des Schicksals“
Zahlreiche Wochenschaukameras waren strategisch verteilt aufgestellt. Die Kameraleute waren beauftragt worden, vor allem Bilder von Begeisterung auf Zelluloid zu bannen. Im Publikum saßen Prominente wie der Schauspieler Heinrich George, aber auch vermeintlich typische „arische“ Menschen – BDM-Führerinnen, ansehnliche Soldaten auf Heimaturlaub, nicht zu schwer verwundete Landser.
Goebbels war in großer Fahrt, er hatte sich selbst in Rage gehetzt. Energisch und mit Anspannung im Gesicht trat er an das Rednerpult und begann seine insgesamt 109 Minuten lange Rede. Stalingrad sei „der große Alarmruf des Schicksals“, das Symbol für den „Heldenkampf“ gegen „den Ansturm der Steppe“.
Er machte seinen Zuhörern kalkuliert Angst: Hinter den vorwärtsstürmenden sowjetischen Divisionen „sehen wir schon die jüdischen Liquidationskommandos“, unter ihnen würden sich „der Terror, das Gespenst des Millionenhungers und einer vollkommenen europäischen Anarchie“ erheben.
„In allen Variationen breitete Goebbels das Schreckens-Szenarium aus“, schreibt der Historiker Ralf Georg Reuth in der stark überarbeiteten Neuausgabe seiner großen Goebbels-Biografie, der gegenwärtig besten Analyse über den Propagandaminister (Piper, München 2012. 746 S., 26,99 Euro). Dann gab Goebbels, so Reuth, „die ihm einzig mögliche, hasserfüllte Antwort, nämlich den angeblichen Terror durch Gegenterror zu brechen“. Mit extremer Betonung kündigte er an, nun müsse mit den „bürgerlichen Zimperlichkeiten“ Schluss sein.
Die zentrale rhetorische Idee
Bevor er zum Finale seiner Ansprache kam, sprach er noch einmal direkt das Publikum an: „Ich habe heute zu dieser Versammlung nun einen Ausschnitt des deutschen Volkes im besten Sinne des Wortes eingeladen. Vor mir sitzen reihenweise deutsche Verwundete von der Ostfront, Bein- und Armamputierte, mit zerschossenen Gliedern, Kriegsblinde, die mit ihren Rote-Kreuz-Schwestern gekommen sind, Männer in der Blüte ihrer Jahre, die vor sich ihre Krücken stehen haben.“
Goebbels nannte den „Block von Rüstungsarbeitern und -arbeiterinnen aus den Berliner Panzerwerken“, wenigstens in diesem winzigen Detail politisch ganz korrekt. Dann erwähnte er die „Männer aus der Parteiorganisation“, die Ärzte, Künstler, Lehrer, Beamten und Angestellten – insgesamt „eine stolze Vertreterschaft unseres geistigen Lebens“.
Nun begann er mit seiner zentralen rhetorischen Idee, einer Abfolge von insgesamt elf, davon zehn nummerierten Fragen. Die erste lautete: „Ich kann also mit Fug und Recht sagen: Was hier vor mir sitzt, ist ein Ausschnitt aus dem ganzen deutschen Volk an der Front und in der Heimat. Stimmt das? Ja oder nein!“ Natürlich scholl ihm ein „Ja!“ entgegen.
Nun folgten zehn Fragen, eine aufputschender als die andere. An vierter Stelle gebrauchte Joseph Goebbels mit sich beinahe überschlagender Stimme jene Formulierung, die seither untrennbar mit seinem Namen verbunden ist: „Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können?“
Ein immer wiederholter Zusammenschnitt
Die Produzenten der Wochenschau schnitten an diese Frage später Bilder der lautesten, der frenetischsten Reaktionen: „Ja! Ja! Ja!“ Ob es wirklich so war, ob also wirklich diese vierte Frage die größten Begeisterungsstürme auslöste, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Es ist aber auch irrelevant, denn ihre entscheidende Wirkung erzielte die Rede eben als immer wiederholter Wochenschau-Zusammenschnitt.
Das zeigte sich in einem Spottgedicht, das wenig später im Westen Deutschlands zu kursieren begann und das die Gestapo registrierte. Der Vierzeiler, den die Spitzel des Regimes irgendwo im Ruhrgebiet aufgeschnappt hatten, richtete sich an die fast allnächtlich drohenden britischen Bomber und lautete:
„Lieber Tommy, fliege weiter,
Wir sind alle Ruhrarbeiter,
Fliege weiter nach Berlin,
Die haben alle ,Ja‘ geschrien!“
Erschöpft, aber glücklich fuhr Goebbels an diesem Nachmittag in seine Dienstvilla am Brandenburger Tor. Er sei, diktierte er seinem Sekretär, „rednerisch sehr gut in Form“ gewesen und habe „die Versammlung in einen Zustand gebracht“, der „einer totalen geistigen Mobilmachung gleicht“.
Der Coup war gelungen: Der „totale Krieg“ verlängerte die Existenz des Dritten Reiches und damit das Morden auf den Schlachtfeldern Europas um viele Monate. Joseph Goebbels konnte zufrieden sein.
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Eine ukrainisch-jüdisch-moldawische Familie, lebt in Leipzig, wo sie russische Spezialitäten verkauft. Und zwar an Osteuropäer, die sich zwischen russischen Flusskrebsen, ukrainischem Wodka und georgischen Sonnenblumenkernen zuhause fühlen. Doch seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist nichts mehr wie zuvor. Die Mutter glaubt den Propagandasendungen des russischen Fernsehens. Ihr Sohn, der keine Sprache mehr als die russische liebt, keinen Menschen mehr als seine Mutter, keine Stadt mehr als Kyjiw, verzweifelt. Um seine Mutter zur Vernunft zu bringen, begibt er sich per Flixbus nach Kiew. Oder wie man inzwischen liest: Kyjiw, von wo er ihr die Wahrheit mitzubringen hofft. Weiterlesen »

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