Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern

Kultur

« Zurück

12. November 2012

Kommentar: Philip Roth ist fertig

Von Matthias Heine, erschienen auf Die Welt Online, 12.11.12. Das Pariser Magazin „Les Inrockutibles“ ist nicht gerade eine obskure Quelle. Immerhin hat dort Michel Houllebecq geschrieben, bevor er allein von der Schriftstellerei leben konnte. Doch erst als das Internet-Magazin salon.com das „Inrock“-Interview mit Philip Roth vom 7. Oktober übersetzte, nahm die Welt zur Kenntnis, dass der wichtigste lebende Schriftsteller der USA keine Bücher mehr schreiben will.

„Um die Wahrheit zu sagen: Ich bin fertig“, verriet Roth seiner Gesprächspartnerin Nelly Kapriélan. Er habe seit drei Jahren kein Buch mehr geschrieben. „Nemesis“, das bereits 2010 auf Englisch erschienen ist, werde sein letztes Werk bleiben. Er habe im Alter von 74 angefangen, seine Bücher in chronologischer Reihenfolge noch einmal zu lesen, um zu überprüfen, ob er seine Zeit mit dem Schreiben verschwendet habe. Dabei sei er zu dem Schluss gekommen, dass Besseres nun nicht mehr kommen werde. Er zitiert den Boxer Joe Louis, der am Ende seines Leben gesagt habe: „Ich habe aus dem, was mir gegeben war, das Beste gemacht.“ Genau das könne er auch von seinem Werk sagen, so Roth. Danach habe er beschlossen, mit der Literatur aufzuhören. „Ich will nicht mehr schreiben und nicht mehr lesen.“ Er habe sein ganzes Leben dem Roman gewidmet: „Ich studierte, ich lehrte, ich schrieb und ich las. Fast alles andere kam dabei zu kurz. Genug ist genug. Ich spüre nicht länger den Fanatismus, den ich mein Leben lang gekannt habe.“

Von Erschlaffung war im Werk von Philip Roth bisher nichts zu bemerken. In der vergangen Dekade hatte er jährlich ein neues Buch vorgelegt. Allerdings waren diese meist recht kurz, sein letzter großer Roman „Der menschliche Makel“ erschien 2000. Künstlerisch waren einige der jüngeren Werke umstritten, weil Roth auch im hohen Alter nicht aufhörte, die tragikomischen Elemente der männlichen Sexualität auszuloten – so wie er es bereits 1969 mit „Portnoys Beschwerden“ getan hatte, dem Buch, das ihn weltberühmt machte. Das brachte ihm den Vorwurf ein, Altherrenfantasien zu pflegen – vor allem von Leuten, die diese Bücher nicht gelesen hatten und nicht merkten, dass Roths erotisch aktive oder auch zwangsinaktive Greise ziemlich bedauernswerte und komische Würstchen sind.

Vielleicht ist das Ganze aber auch nur ein Versuch, das Nobelpreiskomitee auszutricksen. Dort gilt Roth ja seit Jahrzehnten als Kandidat – und jedes Jahr zieht man ihm wieder einen anderen vor. Die schwedischen Juroren setzen gerne auf Schriftsteller, die seit Jahrzehnten nichts von Belang mehr geschaffen haben – wie Harold Pinter oder Dario Fo. Mit jedem Jahr des Schweigens wachsen also Roths Chancen in Stockholm.

Die auf der Website veröffentlichten Kommentare geben nicht automatisch den Standpunkt der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Regierung wieder.
Alle Beiträge der Kategorie Kultur ansehen »

VeranstaltungenÜberblick »

Oktober 2025 | Tischri-Cheschwan | « »

Aktuelle Veranstaltungen


So. 12.10.2025 | 20. Tischri 5786

Kultur

„Sputnik“: Lesung und Gespräch mit Christian Berkel

Beginn 17:00

Buchpräsentation
Sonntag, 12. Oktober 2025, 17 Uhr

Moderation: Günter Keil

Am 4. Oktober 1957 erreichen die ersten Satelliten die Erdumlaufbahn. Kurz darauf erblickt in Westberlin Sputnik das Licht der Welt. Er wächst auf zwischen den Geschichten seiner Mutter Sala und den Büchern seines Vaters Otto. Eine wichtige Lebensstation wird Paris, wo er nicht nur zur Schule geht, sondern Theater und Varieté für sich entdeckt. Die Rückkehr nach Deutschland fällt in eine Umbruchszeit auch der Theaterwelt der 70er Jahre. Eine wilde Phase des Experimentierens bricht an, bis Sputnik wie so viele vom Mauerfall 1989 überrollt wird. Und zu ahnen beginnt, wer er ist, oder zumindest, wer er sein könnte. In seinem dritten Roman begibt sich Christian Berkel erneut auf eine sehr persönliche Spurensuche, die bis in eine erschreckend veränderte Gegenwart führt. Weiterlesen »

Sa. 18.10.2025 | 26. Tischri 5786

Kultur

26. Lange Nacht der Museen in München

Beginn 20:30

Vortrag und Konzert
Beitrag der IKG München und Oberbayern zur Langen Nacht

Samstag, 18. Oktober 2025, 20:30–23:00 Uhr

Auf einen Blick:

Vorträge (je 30 Minuten)

  • 20:30 Uhr: Dr. Elisabeth Rees-Dessauer
  • 21:45 Uhr: Ellen Presser

21:00 und 22:15 Uhr: Konzert des Synagogenchors unter Leitung von David Rees (je 30 Minuten), Begleitung am Piano: Luisa Pertsovska Weiterlesen »

Mo. 03.11.2025 | 12. Cheschwan 5786

Kultur

Mit Dmitrij Kapitelman: „Russische Spezialitäten“

Beginn 19:00

Buchpräsentation und Gespräch
Montag, 3. November 2025, 19 Uhr

Moderation: Ellen Presser

Eine ukrainisch-jüdisch-moldawische Familie, lebt in Leipzig, wo sie russische Spezialitäten verkauft. Und zwar an Osteuropäer, die sich zwischen russischen Flusskrebsen, ukrainischem Wodka und georgischen Sonnenblumenkernen zuhause fühlen. Doch seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist nichts mehr wie zuvor. Die Mutter glaubt den Propagandasendungen des russischen Fernsehens. Ihr Sohn, der keine Sprache mehr als die russische liebt, keinen Menschen mehr als seine Mutter, keine Stadt mehr als Kyjiw, verzweifelt. Um seine Mutter zur Vernunft zu bringen, begibt er sich per Flixbus nach Kiew. Oder wie man inzwischen liest: Kyjiw, von wo er ihr die Wahrheit mitzubringen hofft. Weiterlesen »

Alle Veranstaltungen »

Israelitische Kultusgemeinde
Kontakt
Israelitische Kultusgemeinde
München und Oberbayern K.d.ö.R.
St.-Jakobs-Platz 18
80331 München
Tel: +49 (0)89 20 24 00 -100
Fax: +49 (0)89 20 24 00 -170
E-Mail: empfang@ikg-m.de