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19. Januar 2012

Die Wannseekonferenz – Wie das Hitler-Regime den Massenmord an den Juden plante

Villa Marlier, um 1916. Foto: Archiv GHWK

Villa Marlier, um 1916. Foto: Archiv GHWK

Vor genau 70 Jahren erreichte die grausame Judenverfolgung in Deutschland eine neue Stufe der Eskalation. In einer Villa am Berliner Wannsee trafen sich am 20. Januar 1942 Staatssekretäre, hohe SS-Offiziere und Ministerialbeamte des Hitler-Regimes, um den staatlich organisierten Genozid vorzubereiten. Von dem zweistündigen Treffen, der „Wannseekonferenz“, existiert lediglich ein 15-seitiges Protokoll von Adolf Eichmann, dem damaligen Judendezernenten in der Reichszentrale der Polizei.
Das Schreiben wurde 1947 in den Akten des Auswärtigen Amtes gefunden. Seitdem gelten Eichmanns Zeilen als Schlüsseldokument zur Geschichte des Völkermordes an den europäischen Juden. Zwar hatte das nationalsozialistische Regime bereits vor der Wannseekonferenz damit begonnen, massenhaft Juden zu töten.

Penibel geplanter Verwaltungsakt

Das Treffen gilt jedoch als Startpunkt der industriell organisierten Vernichtung. Militär und Verwaltung wurden offiziell eingeweiht, der Völkermord geriet zum penibel geplanten Verwaltungsakt.

Die Führung der Nationalsozialisten hatte immer wieder die „Ausmerzung“ der Juden als Ziel ausgegeben und dafür unterschiedliche Konzepte gewählt: Sie wurden in Lager deportiert, zur Auswanderung gezwungen, ausgebürgert, in Gettos zusammengepfercht oder getötet. Dennoch gab es laut dem Protokoll in einigen „grundsätzlichen Fragen“ noch Klärungsbedarf: Zu koordinieren war nicht weniger als die „Endlösung der Judenfrage“ – also die vollständige Vernichtung der Juden, für die elf Millionen Menschen in Betracht kämen.

Verschleiernde Sprache

Seeseite der Villa, 1916. Foto: Archiv GHWK

Seeseite der Villa, 1916. Foto: Archiv GHWK

Im Protokoll selbst – das von Alt- und Neonazis als amerikanische Fälschung verunglimpft wird, an dessen Echtheit die seriöse Forschung jedoch nicht zweifelt – wird nicht offen von Mord an den Juden gesprochen. Stattdessen ist das Papier in einer bewusst verschleiernden, bürokratisch verklausulierten Sprache verfasst, die häufig zynisch klingt.

Besonders bekannt wurde ein Satz, den nicht nur sein grausamer Inhalt, sondern auch außergewöhnliche sprachliche Perfidie kennzeichnet: „Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist.“ In der Übersetzung bedeutete das die planmäßige Ermordung von Juden in den Gaskammern von Auschwitz, Treblinka und anderen Konzentrationslagern.

Eichmann selbst erklärte 1960 in Israel, dass seine schriftliche Zusammenfassung nicht dem genauen Wortlaut der auf der Konferenz abgegebenen Erklärungen entspreche. Vielmehr habe er das Protokoll auf Drängen von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, der das Treffen leitete, erheblich redigieren und mehrfach umschreiben müssen. Tatsächlich hätten sich die Konferenzteilnehmer einer weit drastischeren Sprache bedient und offen über verschiedene Techniken des Massenmordes gesprochen.

Weitere Informationen finden Sie auf den Internetseiten der Gedenk- und Bildungsstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“ unter ghwk.de.

Chronik der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland

Von Holger Mehlig für die dapd. Auf der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 berieten Spitzenbeamte der NS-Ministerien und der Schutzstaffel (SS) über die organisatorisch-technische „Endlösung der Judenfrage“. Die Nationalsozialisten verfolgten die Juden aber bereits seit ihrer Machtübernahme. Nachfolgend einige historische Schlüsseldaten:

1933

  • 30. Januar: Reichspräsident Paul von Hindenburg beruft Adolf Hitler zum Reichskanzler.
  • März: Die Sturmabteilung (SA) errichtet die ersten Konzentrationslager (KZ) für politische Gefangene.
  • 1. April: Die NS-Regierung ruft zum Boykott aller jüdischen Geschäfte, Ärzte, Apotheker und Rechtsanwälte auf. Juden werden aus öffentlichen Ämtern entfernt, jüdische Künstler erhalten Auftrittsverbot.

1935

  • 18. August: Ein neues Gesetz verbietet Eheschließungen zwischen sogenannten Ariern und Nichtariern.
  • 15. September: Hitler verkündet die Nürnberger Rassengesetze. Sie ermöglichen die systematische Verfolgung der jüdischen Bevölkerung.

1937

  • September: Die „Arisierung“ der Wirtschaft beginnt, jüdischer Besitz wird beschlagnahmt und zwangsverkauft.

1938

  • November: Während der Reichspogromnacht werden überall jüdische Einrichtungen zerstört. Schlägertrupps töten 91 Juden, etwa 35.000 werden verhaftet und ins KZ gebracht. Später werden alle jüdischen Geschäfte und Handwerksbetriebe geschlossen. Zudem dürfen Juden keine deutschen Schulen und Kulturveranstaltungen mehr besuchen.

1939

  • Januar: Eine Reichszentrale zur Förderung der jüdischen Auswanderung wird gegründet. Schnell ausreisen können aber nur jene, die dem Deutschen Reich ihr Vermögen vermachen oder von ausländischen Glaubensbrüdern freigekauft werden. Zudem werden alle jüdischen politischen Organisationen aufgelöst, der Mieterschutz für Juden wird aufgehoben und jüdischen Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern, Heilpraktikern und Krankenpflegern wird Berufsverbot erteilt.
  • 30. Januar: Hitler kündigt für den Fall eines Krieges „die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ an.
  • 1. September: Mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Polen beginnt der Zweite Weltkrieg.
  • 12. Oktober: Aus dem Reichsgebiet werden die ersten Juden nach Polen deportiert. Im Dezember beginnt der Abtransport von 550.000 Juden aus den angeschlossenen neuen Gebieten.

1940

  • 15. November: In Warschau wird ein Getto eingerichtet, in dem 400.000 Juden eingepfercht werden.

1941

  • 31. Juli: Reichsfeldmarschall Hermann Göring beauftragt den Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich, mit den Vorbereitungen zu einer „Gesamtlösung der Judenfrage“.
  • 1. September: Juden müssen von nun an den Judenstern tragen.
  • 23. Oktober: Das Auswanderungsverbot für Juden tritt in Kraft.

1942

  • 20. Januar: Auf der Berliner Wannseekonferenz wird die organisatorisch-technische Durchführung der „Endlösung der Judenfrage“ beraten.
  • 17. März: Mit der Ankunft der ersten Deportierten im Vernichtungslager Belzec beginnt die Umsetzung des Plans der Wannseekonferenz.
  • 22. Juli: Die ersten 5.000 Juden werden aus dem Warschauer Getto ins Vernichtungslager Treblinka abtransportiert. In den folgenden Monaten werden ihre Glaubensbrüder in Auschwitz, Chelmo, Majdanek, Sobibor und Treblinka sofort nach der Ankunft zu Tausenden vergast.

1943

  • 19. April: Die letzten 60.000 Juden im Warschauer Getto haben sich notdürftig bewaffnet und schlagen die eindringenden SS-Einheiten und Panzer zurück, unterliegen aber später.
  • 11. Juni: SS-Chef Heinrich Himmler befiehlt die Liquidierung aller polnischen Gettos.
  • 19. Juni: Propagandaminister Joseph Goebbels erklärt Berlin für „judenfrei“.
  • November: Das Vernichtungslager Treblinka wird aufgelöst. Dort starben etwa 750.000 Menschen.

1944

  • 12. Juli: Das Lager Birkenau wird aufgelöst. 4.000 der 12.500 Insassen werden vergast, die anderen abtransportiert.
  • 23. Juli: Das Vernichtungslager Majdanek wird von der russischen Armee befreit.
  • 26. November: Himmler befiehlt die Zerstörung der Gaskammern und Krematorien.

1945

  • 27. Januar: Das KZ Auschwitz wird von der russischen Armee befreit. Im Lager befinden sich 5.000 Juden. Anfang des Monats wurden noch 66.020 Häftlinge gezählt. Viele starben auf einem Gewaltmarsch in Richtung Deutschland.
  • April: Die Briten erreichen Bergen-Belsen, die Amerikaner Dachau, die Sowjets Ravensbrück.
  • 8. Mai: Deutschland kapituliert bedingungslos. Insgesamt wurden durch die Nazis und ihre Helfer ungefähr sechs Millionen Juden ermordet.
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    und
  • Prof. Dr. Ursula Münch
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