Vermischtes
« Zurück
14. Mai 2012
Hitlers Spiele: Amerikaner verhinderte 1936 Olympia-Boykott
Von Philip Cassier, erschienen auf Welt Online. Wie umgehen mit der Fußball-EM in der Ukraine? Auch vor Olympia 1936 in Berlin wurde ein Boykott diskutiert – und auf Betreiben eines Amerikaners verworfen, des späteren IOC-Chefs Avery Brundage. Die braunen Herrscher taten einiges dafür, Deutschlands größtes Sportidol für ihre Sache einzuspannen. Als im Jahr 1935 eines Abends bei ihm das Telefon klingelte, so schreibt es Max Schmeling in seinen Erinnerungen, hatte Arno Breithaupt, der Stellvertreter des Reichssportführers Hans von Tschammer und Osten, ein delikates Anliegen: Man sei in Berlin über die zögerliche Haltung der US-Amerikaner beunruhigt, ihr Kommen bei den Olympischen Spielen 1936 zuzusagen: „Sie kennen doch Amerika gut“, sagte Breithaupt, „könnten Sie rüberfahren und entscheidende Leute positiv beeinflussen?“
Schmeling, der sein Geld als Berufsboxer vornehmlich in amerikanischen Ringen verdiente und dabei von Joe Jacobs, einem Juden, gemanagt wurde, wusste sofort, was die Stunde geschlagen hatte: Seit der Machtübertragung auf Hitler im Jahr 1933 machte zumindest die liberale Presse wie die „New York Times“ in den USA dafür Stimmung, die Spiele in der Reichshauptstadt zu boykottieren. Zu schwer wogen die antisemitischen Ausfälle im Reich – „Kauft nicht beim Juden“ –, und in der Abordnung, die die Amerikaner schicken wollten, würden sich einige Juden und auch Schwarze befinden.
Schmeling, der ohnehin geschäftlich in die USA reisen wollte, fasste den Entschluss, für sein Land zu sprechen. Im Gepäck hatte er auch einen Brief, den Theodor Lewald geschrieben hatte, der Präsident des Organisationskomitees der Olympischen Spiele, der nach der NS-Rassenideologie ein „Halbjude“ war. Davon gedachten die Nazis zu profitieren: Konnte ja alles so schlimm nicht sein, wenn einer wie Lewald die Sache in der Hand hatte. Lewald spielte das Spiel bis zur Selbstverleugnung mit.
Die Stimmung war reserviert
In New York, so schreibt Schmeling, fügte es sich dann, dass das Olympische Komitee der USA kurz nach seiner Ankunft just in seinem Hotel die entscheidende Sitzung anberaumt hatte. Vorher empfing ihn der Vorsitzende des Komitees, Avery Brundage. Die Stimmung war reserviert: Wer garantiere den Amerikanern, dass ihre schwarzen – im damaligen Jargon Neger – und jüdischen Athleten nicht behelligt würden?
Schmeling, der als Profi nicht teilnehmen konnte, gab sein Wort, dass deutsche Sportler keinerlei Diskriminierung zulassen würden. Kurz darauf entschieden die Amerikaner mit einer Mehrheit von nur zwei Stimmen, nach Berlin zu reisen. Die unfassbare Naivität seines Auftritts sei ihm erst sehr viel später klar geworden, schreibt Max Schmeling. Er hätte ja zu keinem Zeitpunkt eine Handhabe gehabt, etwaige Hetze des Regimes zu unterbinden.
Heute wirken all diejenigen, die sich für die Spiele im Nazireich starkmachten, wie Menschen, die entweder systematisch die Augen verschlossen oder deren Leichtgläubigkeit ans Verbrecherische grenzte. Die Worte der Boykottbefürworter lesen sich dagegen prophetisch. Zu schlecht passte die rein auf Ausgrenzung und Erniedrigung abzielende Ideologie des Nationalsozialismus mit der Idee der Völkerverständigung durch Sport zusammen, die seit jeher Kern der olympischen Bewegung ist.
Es beginnt im Jahr 1916
Und auch wenn die Situationen natürlich keinesfalls gleichzusetzen sind, so findet die Fußball-Europameisterschaft dieses Jahr mit der Ukraine zumindest teilweise ebenfalls in einem Staat statt, dessen Regime diktatorische Züge trägt und das Oppositionelle wie Julia Timoschenko so sehr quält, dass sie in einen Hungerstreik treten. Bundestrainer Joachim Löw hat das Problem gelöst, indem er einerseits sagte, dass sich Deutschland nicht als „Weltpolizist“ aufspielen werde, seine Spieler aber durchaus ihre Meinung sagen dürften. Löws Kapitän Philipp Lahm hat das schon getan, sehr kritisch.
Die Geschichte der Olympischen Spiele von Berlin beginnt eigentlich schon im Jahr 1916. Damals hätte das Fest der Sportler in dieser Stadt stattfinden sollen, doch der Erste Weltkrieg verhinderte das. Deswegen waren die Deutschen um Lewald so erpicht darauf, dass es nun 20 Jahre später gelingen möge. Als Berlin 1931 den Zuschlag erhielt, terrorisierten die SA-Horden Hitlers gerade die Straßen der Großstädte. Der Chef der NSDAP war selbstredend ein strenger Gegner der universalistischen Veranstaltung Olympia, die nach seinen Worten nur dazu beitragen konnte, den gesunden deutschen Geist noch weiter zu zersetzen.
Das änderte sich schlagartig mit Hitlers Kanzlerschaft im Jahr 1933. Das Prestige, sich bei dem Ereignis als moderne, aufstrebende Nation präsentieren zu können, wischte alle nationalistische Semantik schnell beiseite. Doch mit Hitlers Kanzlerschaft begann eben im Ausland auch die Debatte, ob es möglich sei, an den Spielen teilzunehmen.
Sport und Politik nicht vermischen
Das Internationale Olympische Komitee stellte sich von Beginn an erkennbar nicht auf die Seite der Boykottbefürworter. Sein Präsident, der Franzose Graf Henri de Baillet-Latour, verfolgte die Linie, dass Sport und Politik nicht miteinander vermischt werden dürften und seine Organisation innenpolitische Zustände in Deutschland so lange nichts angingen, wie die Athleten allesamt gut behandelt würden. Sein Stellvertreter, der Schwede Sigfrid Edström, handelte nicht gegen die Interessen des Vorsitzenden.
Im Reich wurden die Juden ab 1933 systematisch aus allen deutschen Sportvereinen gedrängt. Für das Ausland ging es besonders um die Frage, ob jüdische Sportler eine Chance bekommen würden, für Deutschland anzutreten. Davon konnte zwar keine Rede sein, lediglich die Fechterin Helene Mayer, die seit 1932 in den USA lebte und nach den Nürnberger Rassegesetzen als „Halbjüdin“ galt, war tatsächlich im Aufgebot.
Doch im IOC hatte niemand Interesse, sich allzu genau mit den Zuständen zu beschäftigen. So schrieb Edström am 8. Februar 1938 an Avery Brundage: „Um die strikte Opposition der Nazis gegen das Judentum zu verstehen, muss man in Deutschland leben. In wichtigen Geschäftsfeldern waren die Juden in der Mehrheit und verhinderten, dass jemand anderes Zugang erhielt.“
Brundage hatte es in Hand
Brundage war der Mann, der es in der Hand gehabt hätte, einen Boykott durchzusetzen, weil England im Fall eines Neins der USA seinen Appeasement-Kurs verlassen hätte und dadurch auch Frankreich nicht mehr hätte zusagen können. Doch fast möchte man heute bei der Szene, die Max Schmeling schildert, sarkastisch auflachen. Edströms Schreiben fiel bei Brundage auf fruchtbaren Boden: Als Freund des Judentums hatte sich der Geschäftsmann niemals hervorgetan.
Ihm war es stets darum zu tun, unbedingt mit seiner Staffel in Berlin anwesend zu sein. Eine Reise, die er vor den Spielen in offizieller Mission durch Deutschland unternahm, geriet zur Farce: In Berlin stellte er Vertretern des Judentums Fragen, die er, der kein Wort Deutsch sprach, sich von einem Dolmetscher übersetzen ließ, den die Nazis ihm an die Seite gestellt hatten. Ehrliche Antworten bekam er auf diese Weise nicht zu hören, er wollte es auch nicht.
Als zu ihm durchdrang, dass jüdische Sportler aus deutschen Vereinen ausgeschlossen waren, antwortete er, das sei in seiner Heimat Chicago ja auch nicht anders. Er konnte darin keine Diskriminierung sehen, er sorgte sogar selbst dafür, dass zwei jüdische Mitglieder einer Sprintstaffel seines Landes nicht mit nach Berlin reisen durften.
Kein Zutritt für Schwarze
In den USA musste Brundage allerdings ein Duell gegen Ernst Lee Jahnke, einen New Yorker mit deutschen Wurzeln, für sich entscheiden. Die Dynamik des rhetorischen Abtauschs mutet heute absurd an: Unermüdlich wies Jahnke darauf hin, dass die Rechte der Minderheiten in Deutschland gewahrt werden müssten, Schwarze und Juden hätten es in den USA schwer genug. Brundage erwiderte, dass dies wohl eher ein Indiz dafür sei, dass die USA sich nicht zum Richter aufspielen sollten. Abgesehen davon hätten Juden zum größten und prestigeträchtigsten New Yorker Sportklub auch keinen Zutritt.
Die konservative Presse wusste Brundage hinter sich. Es war zu lesen, man dürfe sich bei der Teilnahme an den Spielen nicht von „Juden und Kommunisten“ abhängig machen. Am 21. November 1935 demonstrierten noch einmal Tausende in New York für einen Boykott. Doch in Berlin konnte man aufatmen: Die USA blieben selbst dann noch auf Kurs, als Hitler kurz nach den Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen das entmilitarisierte Rheinland wiederbesetzen ließ. Letztlich siegte Brundage mit dem Argument, man könne nicht gegen den Willen der Sportler handeln, die es fast alle nach Berlin zog.
So wurde die Boykottbewegung zur Sache von wenigen. Auf der Konferenz zur Verteidigung der Olympischen Idee am 6. und 7. Juni 1936 in Paris hielt Heinrich Mann eine berühmte Rede, in der er Hitler und die Seinen zunächst als Kriegstreiber demaskierte. Die Ansprache gipfelte in den Worten: „Glauben Sie mir, diejenigen der internationalen Sportler, die nach Berlin gehen, werden dort nichts anderes sein als Gladiatoren, Gefangene und Spaßmacher eines Diktators, der sich bereits als Herr dieser Welt fühlt.“
Hitler verweigert Owens den Handschlag
Namhafte Künstler und die Arbeiterbewegung, in Deutschland bereits verboten und inhaftiert, warnten mit ähnlich eindringlichen Worten. Das berühmteste Beispiel einer Sportlerin, die sich gegen die Spiele im Nazireich verwahrte, war die österreichische Schwimmerin Ruth Langer, die gute Aussichten auf eine Medaille gehabt hätte: „Ich kann als Jüdin an den Olympischen Spielen in Berlin nicht teilnehmen, weil mir das mein Gewissen verbietet.“
Die Olympischen Spiele in Berlin gerieten zu einem nie da gewesenen Spektakel. Zwölf neue Weltrekorde und 27 olympische Rekorde konnte man melden. Hitler verweigerte dem Star der Spiele, dem schwarzen Amerikaner Jesse Owens, konsequent den Handschlag. Während es den Nazis gelang, Hetze und Brutalität zu verstecken, errichteten sie zeitgleich das KZ Sachsenhausen.
Manche ausländischen Blätter berichteten kritisch, die US-Zeitschrift „The Nation“ brachte es mit den Worten „Der Tod macht Pause“ auf den Punkt. Die Spiele endeten mit einer gigantischen Lichtshow, wenig später sollten Scheinwerfer den Himmel über Berlin nach alliierten Bombern absuchen.
Max Schmeling erhielt bald nach seiner Unterredung mit Avery Brundage den Großen Olympischen Orden, bevor ihn die Nazis zwangen, als Fallschirmspringer auf Kreta zu landen. Er überlebte erstaunlicherweise. Die Karriere Avery Brundages stand 1936 noch am Anfang: 1952 wurde er IOC-Präsident, ein Amt, das er bis 1972, bis zu den Sommerspielen in München, innehatte. Dort verkündete er nach dem Attentat palästinensischer Terroristen, bei dem elf Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft starben: „The Games must go on.“ – Die Spiele müssen weitergehen.
VeranstaltungenÜberblick »
Oktober 2025 | Tischri-Cheschwan
- So
- Mo
- Di
- Mi
- Do
- Fr
- Sa
- 1
- 2
- 3
- 4
- 5
- 6
- 7
- 8
- 9
- 10
- 11
- 12
- 13
- 14
- 15
- 16
- 17
- 18
- 19
- 20
- 21
- 22
- 23
- 24
- 25
- 26
- 27
- 28
- 29
- 30
- 31
Aktuelle Veranstaltungen
So. 12.10.2025 | 20. Tischri 5786
Kultur
„Sputnik“: Lesung und Gespräch mit Christian Berkel
Beginn 17:00Buchpräsentation
Sonntag, 12. Oktober 2025, 17 Uhr
Moderation: Günter Keil
Am 4. Oktober 1957 erreichen die ersten Satelliten die Erdumlaufbahn. Kurz darauf erblickt in Westberlin Sputnik das Licht der Welt. Er wächst auf zwischen den Geschichten seiner Mutter Sala und den Büchern seines Vaters Otto. Eine wichtige Lebensstation wird Paris, wo er nicht nur zur Schule geht, sondern Theater und Varieté für sich entdeckt. Die Rückkehr nach Deutschland fällt in eine Umbruchszeit auch der Theaterwelt der 70er Jahre. Eine wilde Phase des Experimentierens bricht an, bis Sputnik wie so viele vom Mauerfall 1989 überrollt wird. Und zu ahnen beginnt, wer er ist, oder zumindest, wer er sein könnte. In seinem dritten Roman begibt sich Christian Berkel erneut auf eine sehr persönliche Spurensuche, die bis in eine erschreckend veränderte Gegenwart führt. Weiterlesen »
Sa. 18.10.2025 | 26. Tischri 5786
Kultur
26. Lange Nacht der Museen in München
Beginn 20:30Vortrag und Konzert
Beitrag der IKG München und Oberbayern zur Langen Nacht
Samstag, 18. Oktober 2025, 20:30–23:00 Uhr
Auf einen Blick:
Vorträge (je 30 Minuten)
- 20:30 Uhr: Dr. Elisabeth Rees-Dessauer
- 21:45 Uhr: Ellen Presser
21:00 und 22:15 Uhr: Konzert des Synagogenchors unter Leitung von David Rees (je 30 Minuten), Begleitung am Piano: Luisa Pertsovska Weiterlesen »
Mo. 03.11.2025 | 12. Cheschwan 5786
Kultur
Mit Dmitrij Kapitelman: „Russische Spezialitäten“
Beginn 19:00Buchpräsentation und Gespräch
Montag, 3. November 2025, 19 Uhr
Moderation: Ellen Presser
Eine ukrainisch-jüdisch-moldawische Familie, lebt in Leipzig, wo sie russische Spezialitäten verkauft. Und zwar an Osteuropäer, die sich zwischen russischen Flusskrebsen, ukrainischem Wodka und georgischen Sonnenblumenkernen zuhause fühlen. Doch seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist nichts mehr wie zuvor. Die Mutter glaubt den Propagandasendungen des russischen Fernsehens. Ihr Sohn, der keine Sprache mehr als die russische liebt, keinen Menschen mehr als seine Mutter, keine Stadt mehr als Kyjiw, verzweifelt. Um seine Mutter zur Vernunft zu bringen, begibt er sich per Flixbus nach Kiew. Oder wie man inzwischen liest: Kyjiw, von wo er ihr die Wahrheit mitzubringen hofft. Weiterlesen »

Israelitische Kultusgemeinde
München und Oberbayern K.d.ö.R.
St.-Jakobs-Platz 18
80331 München
Tel: +49 (0)89 20 24 00 -100
Fax: +49 (0)89 20 24 00 -170
E-Mail: empfang@ikg-m.de