Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern

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12. September 2013

Leibl Rosenberg über „arisierte“ Bücher und die Suche nach Münchner Eigentümern

„Die Arbeit an der Sammlung IKG ist eine Mizwa“, sagt Leibl Rosenberg im Interview mit Miryam Gümbel, 12.9.2013. Leibl Rosenberg ist Publizist, Journalist und Beauftragter zur Erforschung und Restitution von Buchbeständen aus NS-Raubgut der Stadtbibliothek Nürnberg. In dieser Funktion versucht er, die Eigentümer der Bücher der „Sammlung Israelitische Kultusgemeinde“ zu ermitteln, die von den Nationalsozialisten geraubt worden waren.

Herr Rosenberg, was genau ist die »Sammlung IKG« der Stadtbibliothek Nürnberg?
In ihr befinden sich »verfolgungsbedingt entzogene« Bücher der ehemaligen Stürmer-Bibliothek. Unter den Besitzern der in der NS-Zeit geraubten Werke waren auch Münchner Juden. Die Sammlung ist bei den Bombenangriffen auf Nürnberg erhalten geblieben. Die Bücher sind in das Eigentum der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg (IKG) übereignet worden und befinden sich als Dauerleihgabe in der Stadtbibliothek.

Sie befassen sich seit vielen Jahren mit der Inventarisierung dieser Bücher. Sind Sie dabei auf Namen einstiger Eigentümer gestoßen?
Ja. Jetzt sind rund 9000 Schriften katalogisiert – von Aachen bis Zuromin in Polen. Bei einigen davon haben sich Stempel oder andere Eintragungen gefunden, die einen Hinweis auf den früheren Besitzer erlauben.

Wie sehen solche Eintragungen aus?
Um auf das Beispiel München zu kommen: Da gibt es ein Buch mit der klaren Beschriftung »Israelitische Volksschule München«. In einem anderen Buch steht der handschriftliche Eintrag »Fraenkel Friedrich Herrnstraße«. Das sind nur zwei Beispiele. In dieser Weise haben wir aber nur für einen Bruchteil der Bücher die Provenienz zuordnen können.

Leibl Rosenberg. Foto: Miryam Gümbel

Richtet sich das Bestreben der IKG und der Stadt Nürnberg ausschließlich auf die Feststellung der früheren Besitzer? Oder sollen die Bücher, sofern möglich, auch wieder »nach Hause« finden?
Beides. In der Pressekonferenz mit Vertretern der IKG Nürnberg und der Stadt wurde dies am vergangenen Dienstag deutlich hervorgehoben. Damit die überlebenden Opfer oder deren Nachkommen eine erste Orientierung finden, haben wir die ermittelten Namen und Orte ins Internet gestellt.

Haben Sie sich auch schon selbst an mögliche Vorbesitzer und deren Erben gewandt?
Durchaus. Bei der Suche helfen mir am Anfang alte Telefon- und Adressbücher. Dann geht die Recherche weiter. Als DP-Kind sind mir manche Namen bekannt, zuweilen hilft das bei der Suche. Trotzdem kann es manchmal Jahre dauern. Immerhin konnten wir bereits 180 Bücher zurückgeben.

Wollen alle Erben das Eigentum ihrer Vorfahren zurück haben? Oft wären dazu ja auch mehrere Kinder oder andere Verwandte berechtigt.
Auch hier ein Beispiel aus München: Bei einem alten Schulbuch haben wir die Tochter der früheren Eigentümerin ausfindig machen können, die heute in Übersee lebt. Sie hat dieses Buch der IKG-Sammlung überlassen. 30 Schriften bleiben auf Wunsch der Familien auf Dauer in unserer Bibliothek.

Haben Sie noch weitere Beispiele, wie Identifizierungen zustande kommen können?
Ich erinnere mich an einen älteren Herrn, der auf der Suche nach religiösen Schriften seines Vaters zu uns gekommen ist. Solche eindeutig zu identifizieren, ist außerordentlich schwierig. Im Gespräch kamen wir dann darauf, dass sich auch seine Kinderbücher in der geraubten Bibliothek befanden. Welche, daran erinnerte er sich nicht. Beim Durchblättern einiger Bücher merkte er schließlich überrascht auf. Er hatte verschiedene Eintragungen entdeckt: Eine Tante hatte ihm zur Barmizwa einen Stempel geschenkt – und in seiner Begeisterung hatte er diesen auch in seine Bücher gedrückt.

Wird die Sammlung bestehen bleiben?
Ja, wir werden sicherlich nicht alle früheren Eigentümer ausfindig machen oder alle Bücher eindeutig zuordnen können. Mit denjenigen, die ein Buch zurückbekommen, machen wir aber einen entsprechenden Restitutionsvertrag, der die Zustimmung weiterer Verwandter einschließt. Einige überlassen uns auch ihre Bücher.

Wie wichtig ist Ihnen die Arbeit an der Sammlung?
Man kann sich kaum vorstellen, welche Bedeutung ein abgewetztes altes Schulbuch haben kann. Ich weiß von einer Familie, die sich das Buch vom Großvater neben den Chanukkaleuchter stellt – damit er beim Lichterzünden »dabei« ist. Die Bücher, die nicht zurückgegeben werden können, stellen in der Sammlung IKG ein Denkmal für die Opfer der Schoa dar. Die Arbeit dafür ist somit auch eine Mizwa – die Erfüllung des Gebotes des Zachor, des Gedenkens und der Erinnerung.

Mit dem Beauftragten für die Sammlung IKG der Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg sprach Miryam Gümbel.

Die IKG-Sammlung online: http://url9.de/KYq

Aufruf

Die Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg beherbergt als Dauerleihgabe der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg eine bedeutende Sammlung in der NS-Zeit geraubter Bücher, bestehend aus 9.000 Schriften, die vor allem verfolgten Juden Freimaurern und anderen Opfergruppen in der Zeit zwischen 1933 und 1945 rechtswidrig entzogen wurden. Diese Bestände, die heute unter dem Namen „Sammlung Israelitische Kultusgemeinde (IKG)“ zusammengefasst sind, wurden bei Kriegsende in den Redaktionsräumen des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“ sowie in Julius Streichers Landgut „Pleikershof“ in Cadolzburg bei Fürth aufgefunden. Auf der Suche nach den Vorbesitzern dieser Schriften veröffentlicht die Stadtbibliothek eine Liste mit 1.390 Namen von Personen und Körperschaften aus 300 Orten in ganz Europa. Zahlreiche Schriften konnten bereits an die Vorbesitzer, bzw. deren Rechtsnachfolger in Deutschland, Österreich, die Schweiz, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Israel und den Vereinigten Staaten von Amerika restituiert werden. Diese Arbeit erfolgt pro bono, wir kommen damit unseren ethischen und historischen Verpflichtungen nach.

Unterstützen Sie Leibl Rosenberg bei dieser Suche. Bitte prüfen und vergleichen Sie diese Liste – sortiert nach Namen und Orten – mit Ihren eigenen Erkenntnissen. Jeder Hinweis, jede noch so kleine Information kann einen Schritt zur Restitution der geraubten Bücher darstellen. Vielen Dank!

Informationen zur Sammlung IKG im Internet:

 

 

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April 2024 | Adar II-Nissan | « »

Aktuelle Veranstaltungen


Sa. 13.04.2024 – Do. 18.04.2024 | 5. Nissan 5784

Kultusgemeinde

Ausstellung und Kunstprojekt für die israelischen Geiseln: „Coming Home Soon“

Beginn 11:00

Interaktive Ausstellung
Samstag, 13., bis Donnerstag, 18. April 2024
täglich 11 bis 18 Uhr (am 17. April bis 20 Uhr)
Saal der ehem. Karmeliterkirche, Karmeliterstraße 1, München

Am 7. April waren es auf den Tag genau sechs Monate seit dem Überfall der Hamas auf Israel und damit auch seit Beginn der Geiselhaft von hunderten Verschleppten. Über einhundertdreißig Israelis befinden sich bis heute in Gaza in der Gewalt der Terroristen.

Um auf das Schicksal dieser Geiseln und die damit verbundene menschliche Tragödie aufmerksam zu machen, hat die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern gemeinsam mit zahlreichen Partnern das Kunstprojekt „Coming Home Soon“ der niederländisch-israelischen Künstlerin Inbar Hasson nach München geholt. Das Projekt wurde bereits zu Jahresbeginn unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit in Amsterdam gezeigt. Weiterlesen »

Di. 16.04.2024 | 8. Nissan 5784

Kultur

Der Terror der Hamas. Grundlagen und Perspektiven eines zerstörerischen Systems

Beginn 19:00

Vortrag von Prof. Dr. Peter R. Neumann
Dienstag, 16. April 2024, 19 Uhr

Begrüßung: Dr. Ludwig Spaenle, Antisemitismusbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung

Einführung: Bettina Nir-Vered, Vorsitzende der DIG AG München

Am 7. Oktober 2023 überfielen Terroristen der Hamas israelische Ortschaften. Auf brutalste Weise quälten und ermordeten sie über 1.200 Männer, Frauen und Kinder und verschleppten Hunderte weitere. Insgesamt 134 israelische Zivilisten befinden sich aktuell – sechs Monate später – noch immer in der Gewalt der Hamas; ihr Schicksal ist ungewiss. Gefeiert von vielen Zivilisten im Gazastreifen und in der arabischen Welt, haben Hamas-Anführer seit dem 7. Oktober wiederholt öffentlich zum Ausdruck gebracht, dass die Hamas bei jeder sich bietenden Gelegenheit einen Angriff auf Israel wie am 7. Oktober 2023 wiederholen würde. In ihrer Gründungscharta ist die Vernichtung Israels als Ziel niedergelegt. Weiterlesen »

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